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Ein Abend im Club

Ein Abend im Club

Titel: Ein Abend im Club
Autoren: Christian Gailly
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Ist es noch weit? Bei diesen Worten sah er seinen Jamie vor sich, als er noch ganz klein war und unterwegs unablässig fragte: Wann sind wir da?
    Er war wirklich nervig, sagte Simon. Wer?, fragte Debbie, dein Kater? Nein, der Kleine, kaum waren wir losgefahren, da ging es schon los, anfangs fand Suzanne es lustig, ich fuhr und ich sah sie an, als wollte ich sie fragen: Meinst du, der hält noch mal den Mund?
    Wir sind da, sagte Debbie. Es war 21.30 Uhr. Im Krankenhaus schlief alles. So etwas ist wenig ermutigend, man stört. Und dann diese Wärme, wenn man hineingeht. Und dann dieser Geruch, nach Treibhaus, nach Vivarium.
    Debbie sprach davon, Simon allein zu lassen. Bloß nicht, sagte Simon, nein, bitte, bleib bei mir, es sei denn, es macht dir etwas aus. Aber nein, sagte Debbie. Sie küsste ihn.
    Die Frau am Empfang hatte wahrscheinlich gesehen, wie sie sich küssten. Gehören Sie zur Familie?, fragte sie.
    Ich bin ihr Mann, sagte Simon. Die Frau nickte und sah Debbie an. Nicht der Mann dieser Dame, der Mann von Madame Suzanne Nardis, Sie haben sie doch wahrscheinlich irgendwo untergebracht, wo ich sie sehen kann.
    Simon wäre fast ohnmächtig geworden, als er in den kahlen Raum trat. Es war dunkel. Neonröhren sprangen an. Simon wandte sich zu der Frau um und fragte sie, warum sie das Licht ausgeschaltet habe. Dachten Sie, ich käme nicht mehr? Haben Sie sie im Dunkeln liegen lassen? Die Frau antwortete nicht, dann zog sie sich zurück.
    Eine solche Stille. Die Neonröhren summten. Simon wurde noch einmal schwach. Debbie quetschte seine Hand in ihrer. Der Schmerz richtete ihn wieder auf. Er beugte sich vor. Meine kleine Suzie, sagte er. Er drückte ihr seine Lippen auf die kalte Stirn und wich dann in vagem Schrecken zurück.

23.
    22 Uhr. Es war dunkel. Anne und Jamie hatten erst die halbe Strecke hinter sich. Jamie hasste das Fahren bei Nacht. Immer wieder sagte er: Ich sehe nichts. Um dann hinzuzufügen: Um wie viel Uhr sind wir da? Er sah Anne nicht an, während er mit ihr sprach. Wie hypnotisiert blieben seine Augen im Bann der Scheinwerfer. Anne antwortete ihm nicht mehr. Das sehen wir dann, hatte sie anfangs noch geantwortet und dann nichts mehr.
    Du antwortest mir nicht? Ist dir das alles egal? Schläfst du? Es ist ja auch nicht deine Mutter, deshalb. Wenn es deine Mutter wäre, würdest du dir auch Gedanken um die Uhrzeit machen. Vor Mitternacht kommen wir nicht an. Das fühle ich. Hörst du? Ich fühle es. 23 Uhr, sagte Anne, 23.30 Uhr. Jamie: Meinst du, sie lassen uns zu ihr? Ja, sagte Anne, die haben die ganze Nacht auf.
    Mit einem Mal hatte Jamie genug. Dingo in seinem Korb miaute unablässig. Jamie sagte: Hol ihn da raus. Wie jedermann weiß, klingt klägliches Miauen wie das Weinen kleiner Kinder. Unerträglich, wenn man müde ist und selbst leidet.
    Befrei ihn, sagte Jamie, lass ihn raus, ich kenne ihn, er legt sich dann auf die Rückbank, er ist sicher brav, nicht wahr, Dingo?, fragte er, ohne sich umzuwenden.
    Anne drehte sich um und streckte den Arm aus. Der Korb war zu weit weg. Halt an, sagte sie, ich komm nicht dran. Nein, ich halte nicht an, mach den Gurt auf und sieh zu, wie du’s hinkriegst, Scheiße, das kann doch nicht so schwer sein.
    Sie waren von der Autobahn abgefahren. Sie mussten sie verlassen, um zu der Stadt abzubiegen, in der das Krankenhaus war. Jetzt fuhren sie auf kleinen Straßen. Mit schlechten Markierungen. Kaum beschilderten Kurven. Wenigen Wegweisern. Der erschöpfte Jamie hatte Angst, sich zu verfahren. Anne, halb über der Rückenlehne ihres Sitzes hängend, öffnete den Korb.
    Kaum war er frei, stieß Dingo ein tiefes Miau aus, sprang auf Jamies Schulter und grub ihm die Krallen in den Hals. Jamie machte den ersten Schlenker. Vorsicht, schrie Anne. Sie versuchte sich wieder anzuschnallen. Jamie brachte alles wieder ins rechte Gleis und versuchte gleichzeitig den Kater loszuwerden, der immer noch seinen Hals bearbeitete.
    Dingo, von den Schreien, der Nervosität, der extremen Spannung im Wagen in Panik versetzt, löste sich von Jamies Schulter und sprang auf den Boden, um sich unter seinen Beinen und dann unter seinen Füßen zu verstecken. Bei seinem Versuch, ihn zu verscheuchen, machte Jamie den nächsten Schlenker. Einen größeren. Der Wagen kam von der Straße ab. Es war nicht schlimm. Kein Graben, ebenes, freies Gelände. Sie kamen mit dem Schrecken davon.
    Jamie, völlig aus der Fassung, öffnete seine Tür und stieg aus. Dingo nutzte die Gelegenheit und
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