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Ein Abend im Club

Ein Abend im Club

Titel: Ein Abend im Club
Autoren: Christian Gailly
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ab. Sie brachte ihn zurück, schloss ihn ein, pflegte ihn.
    Die Ankunftszeit des Zugs war bekannt. Die Heimfahrt geregelt. Die beiden Männer machten sich wieder an die Arbeit. Wer interessiert sich schon für Technik? Sagen wir einfach, sie fanden bald heraus, warum die Anlage nicht richtig funktionierte. Und brachten es zu Wege, dass sie wieder richtig funktionierte. Das Ganze dauerte zwei Stunden.
    Sie müssen ja vor Hunger sterben, sagte der Ingenieur. Er selbst starb vor Hunger. Simon sah ihn wortlos an, sehr müde, er war nicht mehr weit von der Rente entfernt. Sie gehörten zu den Letzten, die die Fabrik verließen.
    Suzanne verließ die Zweigniederlassung als Allerletzte. Sie hatte sich einschließen lassen. Das kam häufig vor bei ihr. Wenn ich arbeite, vergesse ich die Zeit, sagte sie oft. Simon kam ja sowieso noch nicht zurück. Sie hatte keinen Anlass, sich Gedanken zu machen.
    Der Wachmann musste die Tür der Eingangshalle aufschließen, um sie hinauszulassen. Schönen Abend, Madame Nardis, sagte er und tippte an seinen Mützenschirm, wahrscheinlich hatte er diese Geste – amerikanischer Cop und schönes Wochenende – aus dem Fernsehen.

2.
    Sie ist durchaus etwas Besonderes, die Luft in einem Industriegebiet an der See.
    Während des ganzen Weges über den Fabrikparkplatz sog Simon diese Luft ein. Gleich wäre er in ein Auto eingesperrt, in das des Ingenieurs, das meistverkaufte Mittelklassemodell Frankreichs, hergestellt von der Firma, bei der Suzanne angestellt war, man kam nur schwer aus dem Gewohnten heraus.
    Es war sogar der gleiche Wagen, den auch Suzanne hatte, als Dienstwagen, in einer anderen Farbe zwar, aber der gleiche Wagen, dasselbe Modell. Simon dachte an sie. Wäre doch schön, wenn sie auch hierher käme, dann könnten wir gemeinsam die Seeluft genießen, träumte er.
    Im Wagen des Ingenieurs roch es nach Baby. Simon drehte sich um. An die Lehne der Rückbank war ein Kindersitz gegurtet. Ihre Frau wartet doch bestimmt auf Sie, mit dem Kind. Ich habe ihr gesagt, dass ich später komme, sagte der Ingenieur, ich habe ihr gesagt, ich würde noch mit Ihnen zu Abend essen. Und das glaubt sie Ihnen?, fragte Simon. Natürlich, sie vertraut mir.
    Umso besser, umso besser, dachte Simon. Hoffentlich bleibt es so, dachte er noch hinterher, dann fragte er: Junge oder Mädchen? Mädchen, ich mag Mädchen lieber, sagte der Ingenieur. Das trifft sich gut, dachte Simon. Ich auch, sagte er. Wenn mein Sohn mich hören könnte, dachte er, wäre er mir böse.
    Er erinnerte sich an den Tag, als er nach einer Tournee endlich einmal dazu gekommen war, ihn zum Kindergarten zu bringen. Er erinnerte sich an die leichte Last auf seinen Schultern und an den Geruch. Kinder riechen gut, sagte er. Nicht immer, der Ingenieur lachte. Die Atmosphäre dieses automobilen Kinderzimmers stimmte Simon weich.
    Er sah die noch von der Geburt erschöpfte blutjunge Suzanne vor sich. Pass gut auf meinen Sohn auf, hatte er ihr gesagt, bevor er sich wieder auf die Landstraßen begab.
    An einer ihrer Kehren tauchte kurz das Meer auf, dann ging es wieder ins Landesinnere. Sie werden sehen, es ist ein sehr gutes Restaurant, sagte der Ingenieur.
    In jedem Fall war es hübsch. Eine Art Gasthaus alten Stils, das sich an ein efeubewachsenes Hotel schmiegte. Ende Mai oder Anfang Juni, Einbruch der Dämmerung, der Himmel noch hell, es muss ein schönes Licht auf den Steinen der kleinen Häusergruppe gelegen haben. Eine Kiesallee führte zu ihr. Die Gärten atmeten Gesundheit.
    Der Wirt ein großer, korpulenter Rotschopf. Der Speisesaal leer. Wahrscheinlich noch zu früh. Wir sind die Ersten, sagte der Ingenieur. Es ist ruhig heute, sagte der Wirt. Umso besser, dachte Simon, dann müssen wir nicht lange warten.
    Es roch gut. Die Einrichtung Holz, nur Holz. Rosa gewürfelte Tischdecken, auf den Regalen Trophäen, an den Wänden Ölschinken.
    Leise Musik. Die Boxen waren gut versteckt, Simon konnte sie nirgends entdecken. Suchen Sie etwas?, fragte der Ingenieur. Ich frage mich nur, woher die Musik kommt. Aus Brasilien, antwortete der Ingenieur. Sehr komisch, dachte Simon, der junge Mann hat durchaus Witz, er hat seine gute Laune wiedergefunden.
    Besagte leise Musik war eine Endlosschleife brasilianischer Standards, Samba, Bossa Nova, Simon mochte so etwas. Er konnte sich noch an die Zeit erinnern, als diese Musik den Jazz infiziert hatte. Auch er hatte sich daran versucht. Ohne großen Erfolg. Die Brasilianer machen es sehr gut. Nur sie
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