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Eheroman (German Edition)

Eheroman (German Edition)

Titel: Eheroman (German Edition)
Autoren: Katrin Seddig
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verändert. Es ist nicht gestrichen worden, das Dach nicht neu gedeckt, die Fenster sind nun geschlossen mit Gardinen davor, es sieht jetzt verkommen aus, vorher sah es verrückt aus und hatte eine verrückte Energie, weil der Wind durch das Haus pfiff und die Fenster und Türen mit Stricken an Haken festgebunden waren, jetzt ist es alt und verkommen und sieht kaum bewohnt aus. Aber aus einem der Fenster dringt Licht.
    «Was soll ich denn hier?», fragt sie und lässt Danilos Hand los.
    «Jetzt bist du schon hier, jetzt komm auch!», sagt er und nimmt wieder fest ihre Hand in seine und quetscht ihre Finger, während er mit der anderen einmal vorsichtig, liebevoll darüberstreicht, sodass ihre Härchen auf dem Arm sich aufrichten.
    Er öffnet das Tor, das schief in den Angeln hängt, und sie gehen auf den dunklen Hof zu den Schuppen, die ebenso schief in der Dunkelheit stehen, wie kleine, schräg nach vorn geneigte Felsen.
    «Was ist denn hier?», fragt Ava. «Ich krieg Schiss, Mann. Du tickst doch nicht ganz richtig.»
    «Warte doch», sagt er, «du wirst schon sehen. Du brauchst keine Angst haben. Ich bin doch bei dir.»
    «Na, wenn du bei mir bist, du Beschützer, du Beschützerlein.» Ava muss wieder kichern. Das Kichern in ihrem Bauch beruhigt sie.
    Er zieht sie hinter sich her, öffnet den Riegel von einem der schiefen Schuppen, die Tür knarrt, trockener Geruch von Stroh und Erde hängt in der Luft des kleinen Raumes. Ihre Augen gewöhnen sich nur langsam an die Dunkelheit. Das schwache Licht einer Straßenlaterne dringt von fern durch die verdreckten Scheiben eines kleinen Fensters, und sie erkennt einen Mann, der auf einem Stuhl sitzt.
    Ava quiekt. Sie wusste gar nicht, dass sie so quieken kann. Wie ein ganz kleines Schweinchen. Ihr Herz rast, und sie bereut alles, Scheiße, Mann, verdammte Scheiße, wenn sie nur nicht plötzlich so gelähmt wäre.
    Aber nichts geschieht, Danilo hält noch immer fest ihre Hand, und der Mann regt sich nicht. Es sieht aus, als würde er sich überhaupt nicht bewegen, nicht mal ein bisschen, nicht mal atmen, es sieht aus, als wäre er tot. Und wenn er das wäre, tot, dann wäre das ungefährlich. Sie hat bereits einen Toten gesehen, Herbert Heinzen auf der Kreuzung, er sah lieb aus und ruhig. Sie hatte keine Angst vor ihm gehabt.
    «Wer ist das?», fragt sie in die staubige Stille.
    «Das ist mein Vater.»
    «Dein Vater?»
    «Er ist nicht echt. Es ist nur eine Kleiderpuppe aus einem Laden. Aber sein Kopf sieht echt aus. Meine Mutter hat ihn gemacht, sie hat früher Tiere fürs Museum gemacht, in Kroatien, sie kann auch Wachsköpfe machen. Und das ist mein Vater. Guten Tag, Vatilein. Guten Tag, Danilo, und guten Tag, schöne junge Frau. Freut mich sehr. Aber das wollte ich dir gar nicht zeigen.»
    «Nicht?»
    «Guck doch mal richtig, geh näher ran!»
    Ava geht näher an den steifen Vater ran, sie tastet sich mit ihren Stoffschuhen über den mit Schutt bedeckten Fußboden. Es riecht säuerlich und nach dumpfwarmem Tier. Sie geht so nahe heran, bis sie etwas sich auf dem Schoß des Vaters bewegen sieht. «Was ist das?»
    Doch im Licht der plötzlich eingeschalteten Hoflampe kann sie es ganz ausgezeichnet erkennen. Im zerfressenen Anzugstoff von Danilos Vater befindet sich ein Nest, aus dem sich blinde, nackte Schnäuzchen nach oben strecken.
    «Kleine Mäuse», sagt sie.
    «Mäusebabys», bestätigt er und kichert und hüpft im Schuppen herum. «Mäusebabys auf Tatas Schoß und beißen ihm die Eier ab. Was sagst du dazu?»
    Er kommt zu ihr und greift wieder nach ihrer Hand. Er stellt sich ganz dicht vor sie hin, reckt sich und seinen wuscheligen Kopf und seine große Brille nach ihr, die über ihm ist, seine Lippen leicht geöffnet, sie spürt seinen Atem. Er will knutschen. Er will es wahr machen.
    «Danilo», ruft eine Frau von draußen, sicher die, die auch das Hoflicht angeschaltet hat.
    Danilo hebt den Zeigefinger an seine Lippen.
    «Danilo», ruft die Stimme wieder.
    Schritte nähern sich. Die Frau erscheint in der Tür. «Danilo, was machst du hier? Und das Mädchen? Was machst du beim Vater?»
    «Der Vater hat Babys bekommen», sagt Danilo.
    «Wie bitte sagst du?»
    «Mäusebabys.»
    «Schlag sie tot, Danilo.»
    «Nö, mach ich nicht.»
    Er zieht Ava zur Tür, schiebt sie durch und drückt die Frau auch mit hinaus und verschließt die Tür mit dem Riegel.
    «Guten Abend», sagt Ava, «ich bin Ava Grünebach», wie sie es von den Eltern gelernt hat, immer vorstellen und
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