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Eheroman (German Edition)

Eheroman (German Edition)

Titel: Eheroman (German Edition)
Autoren: Katrin Seddig
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sei oder ebenfalls wegrennen könne, wenn er wollte, und ob der Vater vom Jörgi eine Waffe hätte oder einen Gegenstand, mit dem er ihn schlage. Der Vater vom Jörgi hatte sich mittlerweile seine Wut ausgehauen, der Jörgi schrie weiter wegen des ausgedrehten Arms und allem, der Vater stand nur da, keuchend und japsend mit glühend rotem Gesicht, und Sabine legte die Polizei einfach auf, weil sie kein gutes Gefühl mehr dabei hatte.
    Jörgi verzieh ihr nicht, dass sie seinen Vater bei der Polizei hatte anzeigen wollen. Er machte gleich, nachdem der Arzt die Schulter eingerenkt hatte, mit ihr Schluss.
    «Am Ende bin ich immer die Doofe», sagt Sabine, «immer ich.»
    «Die sind hier alle so», sagt Ava. «Da kannst du nur die Doofe sein, das liegt nicht an dir, das liegt an denen.»
    Sabine zuckt mit den Schultern. «Das hat doch nichts mit hier zu tun.»
    «Doch. Hier sind alle wie …», Ava starrt auf den Deich, auf die Schwärze unten an der Elbe, auf die Silhouette ferner Industriebauten, «wie die Landschaft.»
    Der Schweinebauer hat Jörgi dann als Wiedergutmachung das Feuer anzünden lassen. Beide, der Schweinebauer wie der Jörgi, sind Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr.
    Der Schweinebauer ist ein Wichtiger hier, er hat eine preisgekrönte Sau, von der viele ein Ferkel wollen, und er hat zwei Windräder an der Nordsee. Das alles wird nun Jörgis Leben. Jörgis Leben ist kein großes Rätsel mehr.
    Der steht immer noch ganz vorn, mit seinen hellen, verschwitzten Haaren, die Strickmütze in die Hosentasche gestopft, das Gesicht rotfleckig, das Feuerzeug in der Hand, ein Bier in der anderen, immer wieder kichert er hektisch und zieht dabei den Kopf zwischen die Schultern. Er steht in der Mitte von allem. Im glühenden Kern des Universums.
    Die Welt ist so riesig, das Leben so unergründlich und der Tod noch mächtiger. Ava hebt den Kopf und betrachtet den Himmel. Die Sterne sind kaum zu sehen, dicke Fladen von schnell ziehenden Wolken verdecken sie. Der rasende, rasende Zug der Wolken, sie starrt nach oben und schwankt und greift nach der nächsten Schulter.
    «Ist da was?», fragt Sabine und starrt in den Himmel, mit ihren runden, wässrigen Augen.
    «Die Wolken ziehen so irre schnell dahin, so schnell, so rasend irre, wie dein Leben. Und jetzt ist es schon wieder vorbei. Jetzt bist du eine andere, und morgen bist du tot.»
    «Ava, du bist immer so bescheuert.»
    «Sieh doch mal hoch, sieh dir das an, dann merkst du, wie das alles rast.»
    Sabine starrt mit tränenden Augen blinzelnd in den Himmel. «Schon irgendwie verrückt alles.»
    «Siehst du», sagt Ava, «und morgen sind wir tot.»
    «Ava, ich bin morgen nicht tot.»
    «Nein. Du stirbst nicht. Für dich macht das Universum eine Ausnahme.»
    «Ich will überhaupt nicht an so was denken, mit Tod und Universum. Immer erzählst du so was und versaust mir die Stimmung.»
    Ava wiegt den Kopf hin und her und reibt sich den Körper warm und sagt: «Hol doch mal einer Bier.»
    «Wo willst du denn Bier herkriegen?», fragt Jennifer, «und … meine Mutter ist hier, deine auch, alle sind hier, da kannst du doch nicht saufen, Mann.» Sie spuckt auf die Erde und häufelt mit dem Schuh Erde auf die Spucke.
    «Bier gibt es bei Jörgi», sagt Sabine, «die haben fünf Kisten Beck’s, ich hol uns was. Er soll mal was sagen. Soll er mal tun. Er soll mal ein Wort sagen, wenn ich die Biere hol.»
    Jörgi steht bei seinen Freunden, Markus, Thomas und Matthias. Sie haben die ganze Nacht mit Cola und dem Rottweiler Rambo auf dem Deich gehockt und den Holzhaufen bewacht, damit die Assis vom Nachbardorf nicht wieder kommen und ihn vorzeitig abbrennen. Das war vor zwei Jahren so, anschließend gab es endlose Schlägereien, Ivo Specker ist mit dem Moped gegen Annemarie Hegbloom gefahren, und sie musste ihre Ausbildung als Groß- und Einzelhandelskauffrau um ein Jahr verschieben, weil sie nicht laufen konnte.
    Sabine spricht drüben mit Jörgi, die Biere an ihre Brust gedrückt, Jörgi starrt sie an. Er nickt langsam, dann sagt er etwas, Sabine sagt etwas, er rückt näher, sie lacht, er lacht, er tritt von einem Bein auf das andere, sieht verlegen auf die Erde, blickt dann hoch und legt plötzlich seinen traurigen roten Kopf an ihre Schulter.
    «Der is schon besoffen», sagt Jennifer.
    Ava nickt.
    «Ich glaub, ist doch nicht Schluss.»
    «Nein», sagt Ava, «es geht immer so weiter, weil sie nicht begreift, dass sich immer nur alles wiederholen wird, alles, und sie wird
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