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Eheroman (German Edition)

Eheroman (German Edition)

Titel: Eheroman (German Edition)
Autoren: Katrin Seddig
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beklagt hätte.
    Das Feuer wächst, es zischt hoch in den schwarzblauen Himmel, und wellende Hitze breitet sich aus. Von außen der dumpf feuchte Geruch von Fluss und Erde, von innen der von verbranntem Holz.
    «Die Elbe riecht anders als andere Flüsse», hat der Vater einmal gesagt.
    «Woher willst du das wissen?», sagte die Mutter, «du warst doch nie hier weg. Du kennst überhaupt keine anderen Flüsse.»
    «Aber ich weiß es, alles riecht für sich anders, die Elbe riecht ein bisschen bitter frisch, so wie Elefantenkot.»
    «Wie was?» Die Stimme der Mutter hatte sich fast überschlagen vor Wut über den bekloppten Vater.
    «Weißt du, Avchen, einmal hab ich hier einen echten Elefanten gesehen, er stand auf einem Transportschiff, und hinter ihm lag ein dicker dunkler Haufen. Es war ein ganz flaches Schiff, und es war ein bisschen diesig, es sah aus, als wenn der Elefant schwebt.» Er hob die flache Hand gegen die Elbe und ließ sie, mit zusammengekniffenen Augen, anstelle des Elefanten über der Elbe schweben. «Und der Wind stand so … Ich konnte den Haufen leicht riechen, ich war ganz betäubt von dem Geruch, es war ein ganz … ganz besonderer … so frisch bitterer Geruch.»
    Die Mutter schüttelte die wilden Locken. «Ich bin auch betäubt, allerdings von deinem Schwachsinn. Ich würde dir am liebsten den frisch bitteren Haufen vor die Birne klatschen, wenn es irgendwas nützen würde.»
    Ava geht näher ans Feuer, sie drängt sich durch die Leute, ganz nach vorn, an die heißen Flammen, bis ihr Gesicht glüht und ihre Augen brennen.
    Jedes Jahr, seit sechzehn Jahren. Immer an Ostern. Die Mutter im Rücken, den Vater im Rücken. Und die anderen.

    Aus dem flatternden Feuer bohrt sich ein Geräusch heraus, ein Fiepen, ein durchdringendes Pfeifen. Von der Seite tönt der Realschullehrer: «Ich habe es gesagt. Das Feuer muss uuumgeschichtet werden. Ich habe es hundertmal gesagt. Da verbrennt jetzt irgend so eine arme Kröte – von Tierlein.»
    «Am lebendigen Leibe», sagt der alte Biese in seinem Rollstuhl und stöhnt dabei, als würde er selbst verbrennen.
    Das Gepfeife bohrt sich in Avas Schädel, sie hat noch nie so ein Geräusch gehört, es hat eine materielle Substanz, wie eine Waffe, wie eine Kugel, wie ein Messer. Luft holen, atmen. Wo ist die Mummi?
    Sechzehn Jahre alt, Ava, und weinst nach der Mutter. Aber die Mutter ist nicht da. Es pfeift immer noch, immer noch, oder pfeift es nur in ihrem Kopf? Es pfeift überall. Die Jungen pfeifen und johlen, das Tierchen, die Kröte, pfeift, und vor allem pfeift es in ihrem Kopf. Ein Orchester, eine Symphonie, ein Pfeifstück am feierlichen Abend.
    Dann findet Ava sich außerhalb des Kreises wieder, sie hockt auf dem feuchten Boden, sie riecht die modrige Erde, und eine Hand liegt auf ihrem Kopf.
    «Huhu!», sagt der Junge, dessen Hand auf ihrem Kopf liegt.
    Sie blickt auf, und im roten Licht des entfernten Feuers sieht sie eine große Brille, wolliges dunkles Haar, das wie ein Busch um den Kopf herum absteht, wie eine riesige Pelzmütze, und eine scharfe Adlernase.
    Sie kann sich nicht entschließen aufzustehen, noch nicht, aber gleich, nur erst mal langsam atmen und das Denken normal werden lassen.
    Der Junge sieht sie durch seine Brillengläser hindurch an, er ist noch klein, kleiner als sie und höchstens zwölf. Sie kennt ihn nicht. «Alles gut?», fragt er.
    «Mir war nur kurz schlecht wegen des Tiers.»
    Er nickt.
    «Das passiert nun mal», will sie die anderen verteidigen, als wäre es klar, dass er nicht zu ihnen gehört, «das liegt daran, dass sich die Tiere da einnisten, und wenn man den Haufen nicht umschichtet, dann bleiben sie drin und werden mit verbrannt. Aber es macht viel Arbeit, das Umschichten, da muss man die Zeit für haben.»
    Schweigen.
    «Da haben die gar keine Zeit für.»
    «Welche Tiere?», fragt er. «Was meinst du denn?»
    Er nimmt seine Hand von ihrem Kopf, und an der Stelle seiner Hand entsteht ein kalter Fleck von verdunstendem Schweiß. Sie friert an der Stelle. Dann geht er weg und lässt sie da sitzen. «Eh, wo gehst du denn hin?», ruft sie ihm hinterher.
    Aber er antwortet nicht. Er geht einfach weiter, als wäre sie ihm egal, als wäre es möglich, dass jemand wie sie ihm oder irgendwem anders egal ist. Sie läuft ihm nach. «Was soll das denn, erst so, dann so, was haust du denn jetzt ab?»
    «Komm doch mit», sagt er, ohne stehen zu bleiben.
    «Wohin soll ich denn mitkommen, was machst du denn?»
    «Nach
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