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Eheroman (German Edition)

Eheroman (German Edition)

Titel: Eheroman (German Edition)
Autoren: Katrin Seddig
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zu gehen, ein Stück auf den Sandwegen des Ohlsdorfer Friedhofes spazieren zu gehen oder zum Einkaufen beim Lädchen gegenüber, wo die Scheiben verblasst und zerkratzt sind und es eben nur ein paar süße Getränke, Zeitschriften und Zigaretten gibt, dann hätte Antonia Glaubacker vielleicht nicht den Glauben an sich selbst gegen die Angst vor der Welt eingetauscht. Aber kann man ihm seine Güte vorwerfen? Oder handelt es sich hier nicht um Güte, sondern um Eigensinn? Was ist, wenn Antonia Glaubacker in ihrer Jugend eine unstete, unzuverlässige Person war, die ihm ständig entflutschte und der er es nie recht machen konnte? Was ist, wenn es ihm gefällt, dass sie nun, brüchig und traurig, an ihn, an seine Fürsorge und Gnade gebunden ist?
    Antonia Glaubacker sitzt, schief verbogen von der Osteoporose, in dem braun geblümten Ohrensessel und sieht fern. Sie sieht kaum hoch, als Ava sie nach ihrem Befinden befragt. Ava weiß, dass sie keine Antwort erhalten wird, denn Antonia Glaubacker antwortet ihr nicht. Sie antwortet, wenn überhaupt, nur ihrem Mann. Ava stellt den Fernseher aus. Sie muss einen Kontakt herstellen. Sie muss mit Frau Glaubacker reden. Sie muss sie untersuchen und muss sie waschen und ihr Medikamente geben. «Wie geht es Ihnen, Frau Glaubacker?», fragt sie.
    Frau Glaubacker schweigt. Nur ihr Kopf nickt ein wenig vor und zurück. Vielleicht soll das eine Antwort sein.
    «Schönes Wetter haben wir, nicht wahr?» Das Wetter ist eigentlich weder schön noch sonst was. Es ist normales Wetter für Anfang Oktober. Es ist kalt geworden. Der Himmel ist bewölkt, und manchmal reißt die Wolkendecke kurz auf und lässt eine blasse Sonne hindurch. Die Tage sind kürzer und kälter geworden. Die Morgen müder. Die Abende müder. Ava sagt: «Wir gehen jetzt ins Bad zum Waschen, Frau Glaubacker, ja?» Es ist eine Frage, aber nicht so gemeint. Sie muss Frau Glaubacker waschen, so oder so. Sie hat den Verdacht, dass Herr Glaubacker dem Gewasche ganz gerne durch Einkaufen entflieht. Wenn Frau Glaubacker dann ausgezogen ist, kann Ava ihren Körper vorsichtig nach Brüchen absuchen. «Haben Sie Schmerzen?», fragt sie, bevor sie ihr hochhilft, vor ihren Rollator, mit dem sie ins Bad trippeln kann.
    Frau Glaubacker sieht für einen Moment hoch, verächtlich, und versucht dann, sich mit Hilfe ihrer Hände aus dem Sessel hochzustützen. Ava greift flink unter ihre Achseln, seitlich, und hilft ihr, sich aufzurichten, so weit es geht, es geht nicht besonders gut. Ava spürt selbst einen Schmerz im Rücken, so oft hat sie sich vorgenommen, zur Gymnastik zu gehen. Langsam kann sie die Alten verstehen, die es verabscheuen, vernünftig zu sein und sich gegen ihre Krankheit sportlich zu wappnen. Die es vorziehen, liegen zu bleiben und sich gehen zu lassen. Ist es nicht einfacher? Ist es nicht am Ende auch friedlicher als ein Kampf, der ohnehin nur verloren werden kann? «Es ist ja aber kein Kampf gegen etwas, sondern ein Kampf für sich selbst», hört sie Hartwig reden. Sicher, denkt sie, aber was ist das «Selbst» dann noch, in solch einer Situation, wo alle Wirbel ineinanderbrechen und die Tage in den braunen Sesseln vergären wie saure Suppe? Wie das Selbst da noch hervorziehen, unter dem Berg an Müdigkeit und Resignation?
    Frau Glaubacker tappt langsam, Schritt für Schritt, wie einen Pfad einen Berg hinauf, durch den Flur zu ihrem braun gekacheltem Bad hin. Sie bewegt sich in ihrer eigenen Wohnung wie in einem Spiegelkabinett, als wüsste sie nicht, wo Wände und wo Türen sind, als wären diese ihr gegenüber feindlich eingestellt. Sie bleibt jeden Moment stehen, um sich neu zu orientieren, und weicht dabei vor und zurück, um dann schließlich doch den nächsten Schritt zu tun, den Schritt, der unausweichlich zu ihrem Bad und ihrer Nacktheit führt.
    Im Bad dann gibt es eine Dusche und einen Duschstuhl, der das alles ganz wunderbar einfach macht. Ava zieht ihr die Sachen über den knochigen, fleckigen Körper. Sie hakt ihr den beigefarbenen BH auf, und ihre Brüste quellen immer noch recht voll und erstaunlich wenig schrumpelig, im Gegensatz zum Rest ihres Körpers, auf ihren hervorstehenden spitzen Bauch. Ob Herbert Glaubacker noch immer erfreute Blicke auf den Busen seiner kranken Frau wirft? Ava schüttelt den Kopf, um den Gedanken abzuschütteln, aber er bleibt hartnäckig auf ihr sitzen, und es erschreckt sie, dass sie sich in Bezug auf Sex sogar fast alles vorstellen kann, auch wenn sie weiß, dass eine
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