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Edelweißpiraten

Edelweißpiraten

Titel: Edelweißpiraten
Autoren: Dirk Reinhardt
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und die Züge raus auf die Strecke rollen. Pawel hat uns erklärt, was wir zu tun hatten. Wir müssten Hemmschuhe auf die Schienen legen – welche von denen, die wir aus dem Werk geklaut hatten. Normalerweise wären sie da, um Züge auf dem Abstellgleis zu bremsen. Der Trick wär aber, sie genau in ’ne Weiche zu klemmen. Dann würd der Zug nicht gebremst, sondern von den Schienen geschleudert.
    Wir haben uns durch den Schneematsch zum Bahndamm geschlichen und erst mal da gelegen und alles beobachtet. Es war Vollmond, wir konnten gut sehen. Die Züge sind auf der Seite gefahren, die uns gegenüber lag. Einige waren offen, dann konnten wir die Ladung erkennen: Munition, Waffen, Ersatzteile, richtig schweres Gerät. Sie sind über die Weichen gerumpelt und einer nach dem anderen im Dämmerlicht verschwunden.
    Überall waren Posten von der Bahnpolizei und haben das Gelände bewacht. Es war unmöglich, auf die Schienen zu kommen, ohne gesehen zu werden. Wir mussten den Fliegeralarm abwarten – wie bei den Raubzügen mit Rupp und Korittke. Inzwischen bombardieren sie den Bahnhof jede Nacht, man kann fast die Uhr danach stellen. Dass unsere Chance kommen würde, wussten wir also.
    Als die Sirenen losgingen, haben sich die Bahnpolizisten wie üblich in ihre Unterstände verzogen. Wir haben gewartet, bis die ersten Bomben kamen, dann sind wir auf die Schienen geschlichen. Sie waren vereist, mit den schweren Hemmschuhen in den Händen konnten wir uns kaum auf den Beinen halten. Aber zum Glück haben wir’s ohne Unfall bis zu den Gleisen geschafft, auf denen die Züge fuhren. Dann haben wir die Hemmschuhe in die Weichen geklemmt, so wie Pawel es uns gezeigt hat.
    Es musste schnell gehen, die Züge fuhren bei dem Angriff weiter – fast im Minutentakt. Aus den Augenwinkeln konnten wir sehen, dass der nächste schon auf uns zukam. Höchstens zwanzig oder dreißig Meter war er noch entfernt, als wir’s endlich geschafft hatten. In letzter Sekunde sind wir zur Seite gesprungen und über die Schienen weggerannt. Hinter uns gab es ein lautes, kreischendes Geräusch – die Lokomotive, die aus den Gleisen sprang. Dann folgte das Krachen der Waggons und gleich darauf plötzlich eine Explosion nach der anderen. Ich weiß nicht, ob es Bomben waren oder die Ladung des Zuges – oder beides gleichzeitig.
Jedenfalls war es auf einmal gleißend hell, alle möglichen Splitter flogen durch die Luft. Es war ein Lärm wie beim Weltuntergang, wir sind nur noch um unser Leben gelaufen.
    Vom Bahnhof weg und durch die Straßen sind wir gerannt, bis wir nicht mehr konnten, dann haben wir uns in irgend ’ner Ruine versteckt. Frettchen hatte einen von den Splittern im Arm. Flint hat ihn rausgezogen, dann haben wir die Wunde verbunden, so gut es ging. Es ist ruhig gewesen, keiner hat was gesagt. Wir haben alle gewusst, dass wir großes Glück gehabt hatten und dass die Sache auch anders hätte ausgehen können.
    Als der Angriff vorbei war, sind wir zurück in den Schrebergarten. Inzwischen hatten wir den ersten Schock überwunden, und als wir Flocke und Nadja erzählt haben, wie die Sache gelaufen ist – wie der Zug hinter uns hochgegangen und am Bahnhof das nackte Chaos ausgebrochen war –, da gab’s nur noch eins: Genugtuung. Wir hatten das Gefühl, es ihnen wenigstens ein bisschen heimgezahlt zu haben. Und das war ein verdammt gutes Gefühl.
    Lange angehalten hat es allerdings nicht. Die Aktion am Bahnhof war vor zwei Nächten – und heute haben wir die Quittung bekommen. Vielleicht hat das eine mit dem anderen auch gar nichts zu tun, vielleicht sind inzwischen einfach zu viele Flüchtlinge in den Gärten. Vielleicht haben sie welche davon geschnappt und im EL-DE-Haus durch die Mangel gedreht, und die haben das Versteck verraten. Wer weiß? Wir werden’s nie erfahren, schätz ich.
    Es war heute Morgen, ganz früh, als es noch dunkel war. Ein Trupp von Gestapoleuten ist gekommen und hat das Gelände durchkämmt. Zum Glück war Frettchen zu der Zeit grade draußen, um am Bahndamm sein Geschäft zu erledigen. Er hat sie gesehen und uns gewarnt. Wir sind aus der Hütte geschlichen und haben uns in den Sträuchern entlang der Bahnlinie versteckt.
Die sind zwar voller Dornen, aber wir haben uns trotzdem reingequetscht. Lieber zerkratzte Gesichter als erschossen, haben wir gedacht.
    Die Gestapoleute haben eine Hütte nach der anderen durchsucht und alles, was zwei Beine hat, zusammengetrieben. Ein paar von den Ostarbeitern wollten fliehen, sind
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