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e-Motion

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Titel: e-Motion
Autoren: Erica Orloff
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sich vor Lou und ging zum Ufer des türkisfarbenen Ozeans. Er zog sich das Shirt aus und tauchte in das Wasser. Nachdem er etwa zehn Minuten darin herumgetollt hatte, kam er wieder heraus, schüttelte sich wie ein nasser Hund, und lief mit nackter Brust den Strand entlang, bis Lou ihn nicht mehr sehen konnte.
    „Und du glaubst, Roland Riggs erinnert sich nach mehr als dreißig lausigen Jahren noch an die letzten Worte eures Gesprächs?“
    „Dieses Wochenende hat unsere Leben verändert, Cassie. Ich weiß es noch wie heute.“
    „Du weißt es noch wie heute, weil es Roland Riggs war. Wäre es irgendeine dahergelaufene Strandbekanntschaft, würdest du dich an nichts mehr erinnern.“
    „Du unterschätzt mich.“ Lou stand auf und ging – barfuß – zu seinem Bücherregal hinüber. Mit seinem Umzug nach Florida hatte Lou sich von seinen Anzügen getrennt. Und von seinen Schuhen. Er kam mit Badelatschen ins Büro, die er auszog, sobald er den plüschigen, königlich-purpurfarbenen Teppichboden von West Side unter sich spürte. Lou ermunterte jeden von uns, es ihm nachzutun: „Das ist gut für die Fußsohlen … verstehst du?“
    Er legte sein abgegriffenes Exemplar von
Simple Simon
zur Seite.
    „Dieses Buch hat das Leben der Menschen verändert.“
    „Lou, wo hast du deinen Zynismus gelassen? Ein Anruf von diesem Typ, und dein Verstand setzt aus. Eine Generation von Kindern wurde in den Krieg geschickt, und er hat ihnen eine Stimme verliehen, gut. Aber lebensverändernd? Und das sagt ein Mann, der Eliza James einen Vortrag gehalten hat, weil sie behauptete, Lyndon Johnsons Schwanz gelutscht zu haben.“
    „Du bist zu jung, um die wahre Bedeutung dieses Buchs schätzen zu können. Ich kann mich an Leute erinnern, die sich bei dem verflixten Roman die Augen aus dem Kopf geheult haben. Erzähl das mal einem Stephen King.“
    „Bei Danielle Steel heulen die Leute.“
    „Danielle Steel könntest du ein neues Gehirn transplantieren, und sie würde doch nie den Pulitzer-Preis gewinnen.“
    „Schön. Ich gebe zu, dass das Buch wichtig war, großartig. Aber als ich all die Artikel über Riggs gelesen habe, hat er mir vor allem Leid getan. Er hat den ganzen Rummel gehasst.“
    Junge, vom Krieg verfolgte Männer, die in Vietnam ihre Beine verloren haben, errichteten vor dem Haus, in dem Riggs wohnte, regelrechte Camps. Die Bilder von ihnen in ihren Rollstühlen, die sich dicht an dicht unter seinen Fenstern an der Upper East Side drängelten, hatten es bis in die Zeitschrift
Life
geschafft. Sie schrieben ihm körbeweise Briefe. Aber Riggs schien von dem Staub, den sein Buch aufwirbelte, eher verschreckt. Er hatte seine bezaubernde junge Frau Maxine und mehr brauchte oder wollte er nicht. Also packten sie ihre Sachen und zogen aufs Land nach Maine. Dort arbeitete er an seinem nächsten Buch. So wollte er sich mit der Öffentlichkeit verständigen. Über seine Worte. Und so hätte er es auch in Zukunft gehalten, wenn Maxine nicht umgebracht worden wäre.
    Maxine war in der literarischen Welt etwa das Gegenstück zu Jackie Kennedy. Sie traf Riggs als achtzehnjähriger Freigeist, und als sie den gut aussehenden, langhaarigen Mann heiratete, war sie neunzehn und er dreißig. Maxine hatte lange schwarze Haare und Augen, die man „smaragdgrün“ nannte. Sie kleidete sich stilvoll und mit Geschmack, und die wenigen Journalisten, denen sie ein Interview gab, betörte sie mit ihrer Schlagfertigkeit und einem ansteckenden Lachen. Nachdem aber die Veteranen sie zu belagern begonnen hatten, zogen Maxine und Riggs sich zunehmend zurück, und jeder Schritt in der Öffentlichkeit wurde zum Futter für die Klatschspalten.
    Die Zeitungen hatten es als tragischen Unfall dargestellt. Maxine hatte vor der Terrassentür ihres weißen Holzhauses gestanden, als die Kugel eines Wilderers sie erwischte. Eine Minute vorher hatte sie Roland noch angelächelt und gesagt, sie würde ein paar Tomaten für den Salat zum Abendessen aus dem Garten pflücken. Und im nächsten Moment lag ihr lebloser Körper blutüberströmt nur ein paar Meter von den liebevoll gepflegten Beeten entfernt am Boden. Kugeln, die einen Hirsch erlegen sollen, hinterlassen klaffende Löcher. Der Jäger wurde nie gefasst. Eine Anklage hatte es nie gegeben.
    Auf Maxines Beerdigung war Roland Riggs Haar schon komplett weiß. Er war in vier Tagen um zehn Jahre gealtert. Innerhalb einer Woche löste er seinen Haushalt in Maine auf und zog an Orte, die niemand kannte. Er
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