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E-Book statt Papierkonserve

E-Book statt Papierkonserve

Titel: E-Book statt Papierkonserve
Autoren: Marlies Michaelis
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Während sich – wie geschildert – das Web ausbreitete, die Netzgemeinde rasant wuchs und die Anwendungen immer vielfältiger wurden, führte das elektronische Buch zunächst ein Schattendasein. Erst mit dem Aufkommen der neuen mobilen Geräte, einer erheblich größeren Auswahl an digitalen Büchern und einem in wesentlichen Punkten weiterentwickelten Web haben die elektronischen Bücher samt Lesegeräten an Attraktivität gewonnen. Über zehn Jahre nach Einführung des ersten E-Book-Readers wird nun auch das Buch von der weltumspannenden Gutenberg-Maschine in großer Zahl vervielfältigt und verteilt. Das Buch wird – wie viele andere Medien auch – Bestandteil des digitalen Raums.

11  Das Buch im digitalen Raum
    Der rechte Zeigefinger liegt auf der Taste. Durch ein leichtes Anspannen der Fingermuskeln schiebt man den Regler nach rechts. Nur einen kurzen Moment später wechselt die Darstellung auf dem Display. Das in Grautönen abgebildete Cover verschwindet. Stattdessen erscheinen Buchstaben, schwarz auf grau. Die rechte Hand hält das Gerät. Ein leichtes Antippen mit einer Fingerkuppe und die Anzeige ändert sich für einen Moment. Zuerst zeigt sie Buchstaben, weiß auf schwarz, ganz kurz, um dann sofort dieselben Buchstaben schwarz auf hellgrau anzubieten. Als ob das Display beim Wechseln der Seiten, ganz unter Spannung, die Buchstaben wie von einem Negativ entwickeln würde.
    Genau in diesem Moment wird deutlich, wie sehr sich das elektronische Buch von seinem Vorgänger unterscheidet. Die Buchstaben sind nicht starr auf Papier gebannt, sondern wechseln bei Bedarf. Sie stehen unter Strom, sind Teil einer digitalen Welt geworden. Sie stehen nicht mehr fest, sind nicht mehr als Zeichen in Ton eingeritzt und gebrannt, nicht mehr mit Tinte auf Papyrus geschrieben und auch nicht mit Lettern auf Papier gedruckt. Die Buchstaben sind beweglich geworden. Schon ein leichtes Antippen des Displays mit den Fingerkuppen reicht aus, um die alten Buchstaben fortzuwischen – und nach einem kurzen Moment werden neue dargestellt. Ganz ohne Druckerpresse oder moderne Offset-Druckmaschinen erscheinen die Worte und Sätze schwarz auf grau in schier unendlicher Menge. Wie von Zauberhand aufgezogen, wechseln sie Seite um Seite nach einem nicht sichtbaren Muster. Dagegen war die Reihenfolge der Seiten beim gedruckten Buch noch offensichtlich.
    Und noch etwas hat sich geändert: War der Umfang eines herkömmlichen Buches deutlich spürbar, so erhalten die Bücher im elektronischen Kosmos eine neue Leichtigkeit. Ob ein Roman nun zweihundert Seiten oder tausend umfasst, ist ihm auf den ersten Blick nicht anzusehen. An die Stelle von Gewicht und Umfang ist die Beweglichkeit getreten. Der digitale Raum ist, was das Medium Buch angeht, zweidimensional. Der Umfang wurde durch eine neue Weite abgelöst. Das elektronische Buch nimmt keinen Raum mehr ein, es schrumpft auf ein paar Spuren auf der Speicherkarte zusammen. Damit verliert es an Gewicht, aber nicht an Bedeutung. Es wird schwerelos und ist überall erreichbar.
    Ein Rahmen aus Plastik, mit einem breiten Knopf am unteren Ende, umschließt das Display. Auf sanften Druck hin gibt das Gerät weitere Geheimnisse preis: Es erscheinen die Cover mehrerer Bücher, einige von ihnen sind bereits auf dem Gerät. Bei anderen handelt es sich um Empfehlungen, erstellt auf der Grundlage der bisher gekauften Bücher. Schon daran ist ersichtlich, dass der Reader über das Web mit weiteren Anwendungen verbunden ist. Das Gerät ist flach – höchstens sieben Millimeter tief –, kann aber auf alle Inhalte des digitalen Raums zugreifen.
    Unsere Umgebung nehmen wir als dreidimensional wahr. Daran haben wir uns gewöhnt. Der digitale Raum dagegen hat keine Tiefe. Ihm fehlt die dritte Dimension. Dafür bietet er uns Bewegung, Geschwindigkeit und eine Vielfalt, die alles übersteigt, was uns unsere direkte Umgebung je bieten könnte. Die Umgebung spricht vor allem unsere Haut an. Über sie nehmen wir Temperatur und Luftfeuchtigkeit wahr, oftmals auch, wenn wir aufmerksam sind, ob jemand hinter uns ist. Geruchs- und Geschmackssinn sind bisher ebenfalls an die direkte Umgebung, die uns umgebende Luft beziehungsweise das, was wir gerade essen oder trinken, gebunden. Doch während Haut und Nase uns weiterhin im Hier und Jetzt halten, gleiten Augen und Ohren hinüber in die andere, die elektronische Welt. Auch dort sehen und hören wir. So werden wir zu Bewohnern zweier Welten und entscheiden selbst, auf
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