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Durch Zeit und Raum

Durch Zeit und Raum

Titel: Durch Zeit und Raum
Autoren: Madeleine L'Engle
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verwahrte das Geld in einem Safe in seinem Arbeitszimmer, das er jetzt so gut wie überhaupt nicht mehr verließ.
    Hatte ihn das Schreiben zu sehr ermüdet, ließ er sich erschöpft in einen Dämmerschlaf gleiten, der von lebhaften Träumen erfüllt war. In ihnen wurden Bran und die Kolonie in Vespugia wirklicher als das unbehaglich kalte Merioneth .
    Im Traum war Matthew auch bei dem flachen Felsen, zu dem er sich früher oft zurückgezogen hatte, um mit Zillah allein zu sein. Aber nicht sie traf er dort, sondern einen fremden Jungen von vielleicht zwölf Jahren und in seltsamen, schäbigen Kleidern. Der Junge lag auf dem Felsen und träumte ebenfalls – und ihrer beider Träume flossen ineinander.
    Gedder hat es auf Gwen abgesehen. Laß das nicht zu. Das Kind muß von Madoc kommen. Gwydyrs Geschlecht trägt das Mal des Makels. Ihn beherrschen nur Stolz, Machthunger und Rachsucht. Halte ihn zurück, Matthew!
    Er sah auch seinen Zwillingsbruder – aber das war nicht der Bran aus Vespugia. Oder doch? Ein junger, etwa gleichaltriger Mann stand neben ihm am Ufer eines Sees. Und daneben einer, der wie Bran aussah, aber nicht Bran sein konnte, denn sein vorwurfsvoller Blick war voll Zorn. Wie der von Gedder. Und jetzt begannen die beiden miteinander zu ringen. Sie kämpften auf Leben und Tod.
    Am Seeufer gloste ein großer Scheiterhaufen. Nein: es waren Blumen; Rosenblätter, von denen kleine Flammen aufzüngelten…
    »Matthew!«
    Er öffnete die Augen. Seine Mutter beugte sich über ihn. Sie hatte ihm eine Tasse Kamillentee gebracht.
    Neben dem stetig wachsenden Stapel mit den Seiten des Manuskripts lag ein einzelnes Blatt. Mit großer Gewissenhaftigkeit hatte Matthew einen Stammbaum angelegt, der sich in zwei gleichermaßen mögliche Linien aufspaltete, in zwei einander umschlingende Äste. Der eine enthielt die Hoffnung, der andere das Verderben.
    Der Roman und Bran und die Kolonie in Vespugia: sie beherrschten Matthew mit Herz und Hirn.
    Der Winter war bitterkalt.
    »Werden die Tage länger, wird auch die Kälte strenger«, scherzte Matthew, als Dr. Llawcae mit ernstem Gesicht auf seine Herztöne lauschte und ihm die Brust abklopfte.
    Als der Doktor sich wieder aufrichtete, sagte er plötzlich: »Matthew, du versuchst Zillah aufzustacheln.«
    Matthew lächelte. »Das habe ich schon immer getan. Seit wir Kinder waren und sie wie Bran und ich auf die höchsten Bäume klettern wollte.«
    »Das habe ich nicht gemeint. Du unterstützt sie in ihrem Hirngespinst, Bran nach Vespugia zu folgen.«
    »Als Bran Sie um ihre Hand bat, gaben Sie Ihren Segen!« erinnerte Matthew den Doktor.
    »Das geschah in der Annahme, daß Bran hierbleiben würde, um Juniorpartner im Kaufhaus seines Vaters zu werden.«
    »Versprochen ist versprochen!« hielt Matthew ihm entgegen. »Man kann seinen Segen nicht zurücknehmen. Zillah ist mit Leib und Seele bei Bran in Vespugia. Ich sehe wohl, daß sie in Ihrem Haus und an Ihrer Tafel den Platz ihrer verstorbenen Mutter eingenommen hat. Aber Zillah ist Ihre Tochter, Dr. Llawcae, und nicht Ihre Gattin, und Sie dürfen sie nicht an sich fesseln.«
    Das Gesicht des Doktors rötete sich im Zorn. »Wie kannst du es nur wagen…!«
    »Weil ich Zillah von ganzem Herzen liebe und schon immer geliebt habe. Sie wird mir nicht weniger fehlen als Ihnen. Ohne Zillah und Bran ist mir alles genommen, was mein Dasein lebenswert macht. Aber es wäre selbstsüchtig von mir, wollte ich sie zurückhalten.«
    Der Doktor wurde noch zorniger. »Wie, du beschuldigst mich der Selbstsucht?«
    »Sie handeln gewiß nicht aus böser Absicht. Aber nichtsdestoweniger sind Sie ein Egoist.«
    »Du… du… Wärest du nicht ein Krüppel, bei Gott, ich würde…!«
    Dr. Llawcae ließ die drohend erhobene Hand wieder sinken, machte auf dem Absatz kehrt und stürmte aus dem Raum.
    Eines Nachmittags im März – draußen regnete es, und hin und wieder verirrten sich die Tropfen in den Kamin und verzischten im Feuer – saß Zillah beim Tee Matthew gegenüber.
    Er blickte sie fest an. »Zillah, es ist an der Zeit. Du mußt nach Vespugia.«
    »Du weißt, wie gern ich das täte.« Sie griff nach seiner Hand, spürte die feingliedrigen Finger. »Vielleicht im kommenden fahr, sagt Vater.«
    »In einem Jahr ist es zu spät. Bran braucht dich jetzt. Wie lange willst du noch auf deinen Vater hören? Er wird immer sagen: »In einem Jahr‹. Er wird dich nie ziehen lassen.«
    Sie starrte in die Flammen. »Ich wollte Vater nicht ohne seine
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