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Durch Zeit und Raum

Durch Zeit und Raum

Titel: Durch Zeit und Raum
Autoren: Madeleine L'Engle
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eines Nachmittags fest, als sie in ihrem blauen Lehnstuhl saß und Matthew den Tee eingoß.
    »Es ist bitterkalt. Obwohl dauernd das Feuer im Kamin brennt, kriecht mir die klamme Feuchtigkeit bis in die Knochen.«
    Er wandte sich ab, um ihren sorgenvollen Blicken auszuweichen, und schaute zum Fenster hinaus. Draußen wurde es dunkel. »Ich muß mit meinem Buch fertig werden, und mir bleibt nicht mehr viel Zeit. Es ist ein weiter Bogen, den ich umspannen möchte, und ich muß bis in die Tage zurückgehen, in denen in Wales die jungen Prinzen um Owain von Gwynedds Thron stritten. Madoc und sein Bruder Gwydyr verließen Wales und landeten hier, irgendwo in unserer Gegend, wie ich annehme. Damals war das Tal vom Schmelzwasser der Eiszeit noch von einem See bedeckt. Und wieder kämpfte Bruder gegen Bruder. Gwydyr strebte nach Anbetung und Macht. Immer und immer wieder werden wir in den tödlichen Kampf der Geschlechter verstrickt – wie zuletzt Bran in diesem schrecklichen Krieg. Und immer noch bluten unsere Wunden. Von Anbeginn, seit wir das Erbe Kains und Abels angetreten haben, gelingt es uns nicht, uns aus diesen Banden zu lösen. Aber wenn wir unsere Fesseln nicht endlich zerschlagen, ist eines Tages unser aller Untergang besiegelt.«
    Zillah preßte die Handflächen aneinander. »Wird uns das je gelingen?«
    Er wandte sich wieder ihr zu. »Ich weiß es nicht, Zillah. Nachts, in meinen Träumen, sehe ich dunkle und böse Bilder. Kinder werden getötet, zu Hunderten, zu Tausenden; die schrecklichsten Kriege raffen sie dahin.« Er faßte nach ihrer Hand. »Ich will nicht leichtfertig den Jüngsten Tag heraufbeschwören, f’annwyl. Ich weiß auch nicht wirklich, was geschehen wird. Aber ich bin auf eine vielleicht ganz unsinnige Weise davon überzeugt, daß die Entwicklung in Vespugia die große Wende bringen könnte. – Lies mir, bitte, noch einmal den Brief vor, der heute von Bran kam!«
    Sie nahm den Brief vom Teetisch und hielt ihn unter die Lampe.
    Mein lieber Zwillingsbruder, meine liebe Zillah, wann kommt ihr endlich? Matthew, wenn du Zillah nicht zu mir bringen kannst, dann muß sie dich herbringen. Sie schreibt, daß der Winter dir zusetzt und daß du ihr Sorgen machst. Hier nähme vielerlei deine Aufmerksamkeit in Anspruch. Llewellyn Pugh wird von seiner Liebe zu Zillie verzehrt. Und sie würde ihn gewiß nicht abweisen, drängte Gedder mir nicht immer wieder seine Schwester auf, so hartnäckig ich auch darauf verweise, daß ich bereits gebunden bin und meine Zillah bald kommen werde, sich uns anzuschließen. Stempelt mich also nicht zum Lügner!
    Wir haben unseren ersten Toten zu beklagen. Wie traurig war das! Es ist den Kindern streng untersagt, auf die Klippen zu steigen, die unsere Kolonie vor dem Wind schützen. Aber irgendwie gelang es einem von ihnen doch, sie zu erklimmen – und er stürzte zu Tode. Wir alle trauern. Es mag ein Trost sein, daß wir so viel Arbeit haben; da bleibt keine Zeit zum Müßiggang, und das hilft uns allen über die schweren Tage hinweg, vor allem den Eltern des armen Kleinen. Rich erwies sich als ein Fels der Stärke. Er war es, er allein, der die Tränen der Mutter löste, wohl auch, weil er selbst sich nicht zu weinen schämte.
    »Dieser Rich ist ein wackerer Mann«, sagte Matthew. »Und für Gwen würde er alles tun.«
    »Du sprichst, als ob du ihn kennen würdest.«
    Matthew lächelte ihr zu. »Und ob ich ihn kenne. Ich kenne ihn durch Bran. Und durch meinen Roman. Was immer Rich und Bran, Gwen und Zillie widerfährt, wirkt sich auf meine Geschichte aus. Mehr noch: es könnte sie verändern.« Sie blickte ihn fragend an. »Ich werde zu diesem Buch getrieben, Zillah. Ich muß es einfach schreiben. Es erregt mich und bringt mich immer weiter. In seinen Seiten vermischen sich Mythos und Wahrheit. Wir machen uns gar keine Vorstellung davon, wie sehr künftige Entwicklungen von dem beeinflußt werden können, was irgendwann einmal geschah. Gedders Verhalten wird nicht bloß den Fortgang meiner Erzählung bestimmen, sondern vielleicht auch das weitere Schicksal der Erde. Nichts, niemand ist unwürdig; jeder zählt. Auch was du tust, verändert die Welt.«
    Im Frühwinter zog sich Matthew nach einer Erkältung ein schweres Brustleiden zu. Dr. Llawcae sah täglich nach ihm. Matthew lag meist, in Decken eingehüllt, auf dem schwarzen Ledersofa und schrieb an seinem Roman. Es gelang ihm auch, einige Kurzgeschichten an den Mann zu bringen; die Honorare trafen ein, und Matthew
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