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Durch den Wind

Titel: Durch den Wind
Autoren: Annika Reich
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freut das«, sagte sie und klappte ihren Computer auf, »dass du eifersüchtig bist.«
     
    An Tagen wie diesen arbeitete sie in einem Tempo, dass Klaus der Atem stockte, an Tagen wie diesen verstand sie, was er damit meinte: sie verschwende ihr Talent. Mittags überredete Klaus sie, ihn zum Essen mit einem Londoner Architekten zu begleiten, und als sie das Büro verließen, sagte er: »Wenn du endlich mal eine Affäre mit deinem Beruf anfangen würdest! Deine Karriere würde durch die Decke gehen.«
    Sie antwortete: »Wenn man seinen Beruf so einfach wieder loswerden könnte wie einen Mann, dann vielleicht.«
    Klaus schüttelte den Kopf und stellte ihr den Londoner Architekten vor, der am Tisch bereits auf sie wartete. Der Engländer hatte schöne Hände, mochte ihre Stiefel und war auch sonst jemand, dem sie gerne ihre Nummer gegeben hätte, würde nicht noch ein anderer Mann in ihrer Wohnung auf sie warten.
     
    Als sie nach Hause kam, dämmerte es schon. Sie blieb vor der Wohnungstür stehen. Kein Geräusch. Sie schaute auf die Uhr, setzte ihre Einkaufstüten nicht ab, lauschte. Ihr Puls ging schneller. Sie steckte den Schlüssel leise in das obere Schloss, drehte ihn und zog ihn wieder hinaus. Ein Geräusch, kaum wahrnehmbare Schritte vielleicht, sie hielt den Atem an und öffnete die Tür.
    Chīzu ihr Kater, stand direkt vor ihr, schaute sie kurz an und ging dann unbeteiligt davon. Außer seinem Tapsen nichts. Sie ging in die Küche, packte ihre Sachen in den Kühlschrank, schenkte sich einen Wodka ein, presste zwei Eiswürfel ins Glas und ging dann zum Schlafzimmer. Sie schaute Chīzu kurz hinterher und öffnete dann mit Schwung die Tür. Sie knalltegegen die Wand. Natürlich war er nicht mehr da, wie konnte sie nur denken, dass er so lange auf sie warten würde? Kein Mensch tat so etwas.
     
    Ihr Schlafzimmer sah aus, als wäre er nie hier gewesen. Die Bettwäsche war glatt gestrichen, die Gläser auf dem Nachttisch verschwunden, ihre Unterwäsche, ihr Hemd nirgends zu sehen. Er hatte den Ball genau dorthin zurückgespielt, wo sie nicht hinkam.
    Ihr Blick fiel auf einen weißen Zettel auf dem Fensterbrett. Auf dem Zettel lag ein weißer Stift. Vielleicht hatte er dort etwas für sie hingeschrieben. Sie steckte sich den Stift in den Ausschnitt, nahm den Zettel und ging durch den Flur ins Wohnzimmer. Alles war wie immer. Das Parkett weiß gebeizt, so dass nur noch die Holzstruktur zu sehen war und die Form der Nägel. Das weiße Bett, der weiße Schreibtisch, die vier schwarzen Stühle, das weiße Sofa und die großformatigen Photographien von schwarz-silbernen Galaxien an den Wänden. Sie schaute sich um, als sähe sie ihre Wohnung in einem Spiegel. Dann hörte sie ihren Anrufbeantworter ab. Nichts. Nur ihre eigene Ansage und dass sie keine neuen Nachrichten habe. Das hatte sie schon an der roten ›0‹ im Display gesehen.
    Sie drückte sich den Zettel ans Gesicht. Und plötzlich stieg ihr der Geruch des Krankenhauses in die Nase, in dem ihr Vater gestorben war. Sie ließ das Papier sinken und hörte die Stimme ihres Vaters, wie er ihr Gedichte einflüsterte, abends vor dem Einschlafen, mittags, als sie aus der Schule kam, morgens vor dem ersten Tee.
    Sie setzte sich aufs Sofa. Sie hörte Chīzu in der Küche sein Futter knacken. Sie rief ihn, er unterbrach kurz sein Fressen, dann kaute er in aller Seelenruhe weiter. Sie streckte sich auf dem Sofa aus und ließ ihre hohen Stiefel über die Seitenlehnenbaumeln. Sie nahm einen halbgeschmolzenen Eiswürfel auf die Zunge und zerbiss den Rest. Sie stellte das Glas ab und strich sich über den seidenen Rock. Sie hatte kein Licht gemacht, als sie hereingekommen war. war nun satt und kam ins Zimmer, würdigte sie keines Blickes, schmiegte sich aber an sie. Geliebter Kater.
    › Chīzu ‹ war das japanische Wort für Käse, und man schrieb es in Katakana, dem Alphabet für Wörter, die importierte Gegenstände und Gefühlszustände bezeichnen. Sie hatte ihn auf der Straße gefunden, er war offensichtlich von zu Hause weggelaufen und schien lieber zu verhungern, als dorthin zurückzukehren. Seine Bewegungen waren geschmeidig gewesen, man hatte durch den Straßendreck hindurch erkennen können, dass er ein schönes Fell trug, und seine Launen waren schon von Anfang an vielgestaltiger, als dass sie sich nur auf seinen Hunger zurückführen ließen. Anfangs wollte sie ihn ›Miruku‹ nennen (was das Katakana -Wort für Milch war), aber dann sah sie schnell ein, dass
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