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Dunkler Winter

Dunkler Winter

Titel: Dunkler Winter
Autoren: David Luckett
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Graben muss vertieft und verbreitert werden, damit er nicht so leicht zugeschüttet oder überbrückt werden kann.« Die Priorin wandte sich Silvus zu. »Sie müssen Fürst Nathans neue Festungsbauten gesehen haben. Schwester Winterridge beurteilte sie günstig. Welche Ver änderungen sollten wir hier vornehmen?«
    Silvus schürzte die Lippen. »Ich bin kein Ingenieur und Festungsbaumeister. Doch wie Sie sagen, ich habe im Laufe meiner Dienstzeit einiges gesehen. Es trifft zu, dass Fürst Nathans Konstruktion in mancherlei Weise von der dieser Festung abweicht. Ich würde mir die Einzelhei ten vergegenwärtigen und die entsprechenden Merkmale hier ansehen müssen. Wenn Sie es gestatten…«
    »Gewiss. Gehen Sie, wohin Sie wollen und stellen Sie Ihre Fragen.«
    Silvus verneigte sich auf seinem Platz und lächelte. Ich beugte mich über meine Schale, denn ich erinnerte mich plötzlich, wie Silvus das letzte Mal vornehme Umgangs formen herausgekehrt hatte.
    Die kurzen Tage waren ausgefüllt, die Nächte kalt und dunkel. Routine ist mir nicht fremd, aber man muss nicht alle Bekanntschaften mögen. Und es war besser, müde zu Bett zu gehen. Die Träume waren dann weniger beun ruhigend. Ich fuhr in der Nacht seltener aus dem Schlaf hoch, schnappte in der Dunkelheit nach Luft, sah die Flammen und die Untoten, hörte wieder die Schreie.
    Die Leute arbeiteten, und wir taten es ihnen gleich. Eumas und Hubert waren Soldaten gewesen; sie konnten mit einem Spaten umgehen. Auch Schwester Winterridge.
    Es war ungefähr zehn Tage nach dem Gespräch im Speisesaal. Tauwetter hatte eingesetzt, es war schlammig, aber in der Schmiede, wo ich einem Nagelschmied half, warm und angenehm. Schneeglöckchen begannen ihre Köpfe zu zei gen, und der Westwind, der seit eineinhalb Tagen wehte, hatte den Schnee geschmolzen. Schlamm ist schlimmer, ich weiß, aber er ist auch ganz erfreulich, wenn er nicht zu lange andauert. Und er riecht nach Leben und Erde.
    Silvus erschien in der Tür und winkte mir mit einer Kopfbewegung. Ich überlegte, dass ich offiziell noch im mer sein Knappe war, und dass mein Eid Gehorsam ver langte. Ich entschuldigte mich beim Schmied, der grunz te. Einstweilen würde er selbst den Hammer schwingen müssen.
    Ich legte meine Lederschürze ab, verließ die Werkstatt und blinzelte im kalten Sonnenschein umher, bis meine Augen sich vom rauchigen Halbdunkel der Schmiede umgestellt hatten. Der durch das vorhandene Straßennetz gegebene Grundriss der Stadt bildete die Grundlage für den Wiederaufbau, und ich vermute, dass die meisten Leute ihre Häuser wieder genauso aufbauten, wie sie ge wesen waren. Überall herrschte Geschäftigkeit und Ge hämmer. Geschäftigkeit stimmt heiter.
    Ich kam an seine Seite. »Was gibt es?«
    »Ich brauche dich als Zeugen.«
    »Als Zeugen wofür?«
    »Wenn ich es dir sagte, könntest du kein fairer Zeuge sein.«
    Ich dachte darüber nach. Vielleicht. Ich dachte noch im mer, es habe mehr mit Silvus’ Gefühl für Dramatik zu tun als mit einem juristischen Sachverhalt. Ich warf ihm einen misstrauischen Seitenblick zu, der ihm nicht entging.
    »Ich ersuchte die Priorin um ein Zusammentreffen«, räumte er ein.
    Die Priorin. Was nun?
    Wir passierten die Zugbrücke und traten in die Fes tung, durch den inneren Hof und dann in den Bergfried. Ich fragte mich den ganzen Weg, was er von der Priorin wolle. Sie erwartete uns auf der Schwelle der massiven Tür, bewaffnet und gepanzert. Anscheinend hatte man sie von der Beaufsichtigung der Waffenübungen herbeigeholt, der einzigen Beschäftigung, der sie neben der Planung für den Wiederaufbau der Festungsmauer, die Ge stellung von Arbeitskräften, den Antransport neuer Stein quader und die Organisation der verstärkten Türme und Bastionen einen Teil ihrer Zeit widmete.
    »Was wollen Sie mir zeigen?«, fragte sie ungeduldig.
    »Etwas, das in meinen Augen ein wesentlicher Mangel der Verteidigungsfähigkeit ist.«
    Sie zog die Brauen hoch. Eingerahmt vom Helm, wirkte ihr Gesicht stärker, weniger rundlich.
    »Hier im Bergfried? Dann ist es gut, dass Sie ihn gefun den haben, bevor das Dunkel darauf kommen konnte.«
    »Das denke ich auch.«
    Wie?
    Aber er gab uns keine Zeit zu überlegen, wandte sich um und ging voraus – abwärts. Was war diese Schwäche? Eine dünne Stelle in den unteren Mauern des Bergfrieds? Es schien kaum möglich; und es verhielt sich auch nicht so. Er erreichte die Erdgeschossebene, wo der Speisesaal und die Küche lagen, und stieg weiter
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