Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dunkler Strom (Billy Bob Holland) (German Edition)

Dunkler Strom (Billy Bob Holland) (German Edition)

Titel: Dunkler Strom (Billy Bob Holland) (German Edition)
Autoren: James Lee Burke
Vom Netzwerk:
Kaffeetasse an, stellte sie dann wieder ab. Sein Cowboyhemd mit den silbernen Druckknöpfen schimmerte im Licht. »Ach verflucht, dann ruf ich halt oben an, wenn Sie am Sonntag vormittag nix Besseres zu tun haben, als sich mit nem Bengel abzugeben, der von Tuten und Blasen keine Ahnung hat. Sie wissen ja, wo der Fahrstuhl is.«
    Wenn die anderen Jungs auf der High-School Baseball spielten oder Leichtathletik betrieben, übte Lucas Smothers Gitarre. Danach Mandoline, Banjo und Dobro. Er trieb sich in schwarzen Nachtclubs herum, ging bloß der Musik wegen zu Treffen am offenen Lagerfeuer und brannte von zu Hause durch, um Bill Monroe in Wichita, Kansas, spielen zu hören. Er konnte einem beinahe jede Einzelheit aus dem Leben der Countrymusiker erzählen, deren Namen untrennbar mit einer Zeit verbunden sind, da die Arbeiterklasse amerikanische Musikgeschichte schrieb – Hank Williams und Lefty Frizell, Kitty Wells, Bob Wills, The Light Crust Dough Boys, Rose Maddox, Patsy Montana, Moon Mullican, Texas Ruby, deren Songs man einst für fünf Cent auf jeder Wurlitzer-Jukebox hören konnte.
    Seine Kunstfertigkeit auf Saiteninstrumenten grenzte an ein Wunder. Doch in den Augen seines Vaters war das zu nichts nütze, und das gleiche galt auch für Lucas selbst.
    Als er sechzehn war, hatte Vernon ihn dabei erwischt, wie er in einem Bierschuppen in Lampasas auf einer Steel-Gitarre mit drei Griffbrettern spielte, und ihn vor dem Lokal so fürchterlich mit einem Rasierstreichriemen verdroschen, daß ein vorbeikommender Lastwagenfahrer ausgestiegen war und Vernons Arme festgehalten hatte, damit der Junge davonlaufen konnte.
    Lucas saß in Jeans und abgewetzten Cowboystiefeln auf der Kante seiner Pritsche in einer schmalen Zelle, deren Wände mit den typischen Knastsprüchen übersät waren. Sein Gesicht wirkte verkatert, war grau vor Angst, die Haare klebten vor Schweiß. Zu seinen Füßen lag ein Westernhemd mit Druckknöpfen. Es war blauweiß kariert und hatte weiße, mit kleinen goldenen Trompeten bestickte Schultereinsätze. Er hatte sich das Hemd für vierzig Dollar gekauft, als er im Shorty’s zum erstenmal mit einer Band gespielt hatte.
    »Wie geht’s dir?« fragte ich, nachdem der Wärter die massive Eisentür hinter mir geschlossen hatte.
    »Nicht besonders.« Er hatte die großen, kräftigen Hände auf den Knien liegen. »Hat man Ihnen was über das Mädchen gesagt ... ich meine, wie’s ihr geht?«
    »Sie ist in schlechter Verfassung, Lucas. Was ist passiert?«
    »Ich weiß es nicht. Wir sind vom Shorty’s weg, Sie wissen schon, dem Schuppen am Fluß. Wir haben in meinem Pickup ein bißchen rumgeknutscht ... Ich weiß noch, daß ich meine Hosen ausgezogen hab, und dann kann ich mich an nichts mehr erinnern.«
    Ich setzte mich neben ihn auf die Pritsche. Sie war aus Eisen und mit Ketten an der Wand befestigt. Eine dünne Matratze voller brauner und gelber Flecken lag in dem rechteckigen Rahmen. Ich ergriff seine Hände, drehte sie um, drückte dann mit dem Daumen die Fingergelenke ab und achtete die ganze Zeit darauf, ob er das Gesicht verzog.
    »Heute nachmittag kommt eine Frau vorbei und fotografiert deine Hände. Paß auf, daß du sie dir bis dahin nicht aufschlägst«, sagte ich. »Wer ist die Kleine?«
    »Sie heißt Roseanne. Mehr hat sie mir nicht verraten. Sie is mit nem Haufen andrer Leute gekommen. Die sind ohne sie abgehaun, und dann haben wir zwei uns ein paar hinter die Binde gekippt. Ich würde niemals jemand vergewaltigen, Mister Holland. Und ein Mädchen würd ich schon gar nicht schlagen«, sagte er.
    »Woher willst du das wissen?«
    »Sir?«
    »Du weißt nicht mehr, was du gemacht hast, Lucas ... Schau mich an. Unterschreib nichts, beantworte keine Fragen, mach keine Aussage, egal, was man dir verspricht. Hast du kapiert?«
    »Hat mein Vater Sie hergeschickt?«
    »Nicht unbedingt.«
    Er schaute mich mit seinen blauen Augen an. Sie waren blutunterlaufen, voller Schmerz, und ich sah, wie er versuchte, meine Gedanken zu lesen.
    »Du brauchst einen Freund. Irgendwann geht uns das allen so«, sagte ich.
    »Ich bin nicht besonders schlau, aber blöd bin ich auch nicht, Mister Holland. Ich weiß über Sie und meine Mutter Bescheid. Aber ich zerbrech mir nicht den Kopf darüber. Für mich ist da nichts weiter dabei.«
    Ich stand auf und schaute aus dem Fenster. Aus der roten Ziegelkirche mit dem weißen Turm unten an der Straße kamen Menschen, die Samen der Seidenholzbäume trieben im Wind, und ich roch den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher