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Dunkler Strom (Billy Bob Holland) (German Edition)

Dunkler Strom (Billy Bob Holland) (German Edition)

Titel: Dunkler Strom (Billy Bob Holland) (German Edition)
Autoren: James Lee Burke
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mexikanischer Kinder an dem knapp einen Hektar großen Weiher hinter meiner Farm. Doch bei Nacht hallten meine Schritte von den mit Eiche und Mahagoni getäfelten Wänden in meinem Haus wider, als werfe man Steine in einen leeren Brunnenschacht.
    Die Geister meiner Vorfahren suchten mich nicht heim, wohl aber der Geist eines anderen Mannes. Er hieß L. Q. Navarro und war zu Lebzeiten der bestaussehende Mann gewesen, dem ich je begegnet bin, mit rabenschwarzen Haaren, breiten Schultern und einer Haut, die so braun und glatt wie frisch gegerbtes Leder war. Wenn er mir erschien, trug er die Kleidung, in der er gestorben war – einen dunklen Nadelstreifenanzug und staubige Stiefel, einen schlaffen grauen Stetson und ein weißes Hemd, das wie Schnee im Scheinwerferlicht glänzte. Sein von Hand gefertigter Waffengurt mit dem am Schenkel baumelnden Revolverholster wirkte wie ein albernes Anhängsel. Im obersten Knopfloch seines Hemdes hatte er eine scharlachrote Rose stecken.
    Manchmal verschwand er im Sonnenlicht, löste sich einfach in Millionen goldener Partikel auf. Bei anderen Gelegenheiten ließ ich mich für nichts und wieder nichts auf aussichtslose Verteidigungsreden ein, worauf mein geisterhafter Besucher einen vorübergehenden Straferlaß verkündete und jede Nacht geduldig und ganz allein unter den Mesquitebäumen und Schwarzeichen auf einem Hügel in der Ferne wartete.
    An einem Sonntag im April klingelte um zehn Uhr morgens das Telefon.
    »Mein Junge sitzt im Gefängnis. Ich will ihn da raus haben«, sagte der Anrufer.
    »Bist du das, Vernon?«
    »Nein, es ist der Nigger im Holzhaufen.«
    Vernon Smothers, der größte unternehmerische Fehlgriff meines Lebens. Er bewirtschaftete rund vierzig Hektar meines Landes auf Pachtbasis, aber ich war inzwischen fast bereit, ihm Geld dafür zu geben, daß er nicht zur Arbeit antrat.
    »Was wirft man ihm vor?« fragte ich.
    Ich hörte, wie Vernon auf irgend etwas herumkaute – einem Bonbon vermutlich. Ich sah geradezu seinen verdrucksten Blick, spürte, wie er die Falle suchte, die man ihm seiner Meinung nach stets stellen wollte.
    »Vernon?«
    »Er war wieder mal besoffen. Drunten am Fluß.«
    »Ruf einen Kautionsadvokaten an.«
    »Die haben sich ein paar Lügen ausgedacht ... Sie sagen, er hat da drunten ein Mädchen vergewaltigt.«
    »Wo ist das Mädchen?«
    »Im Krankenhaus. Sie ist nicht bei Bewußtsein, kann also nicht sagen, wer’s gewesen ist. Das heißt, daß sie nichts gegen ihn in der Hand haben. Isses nicht so?«
    »Du mußt mir was versprechen ... Wehe, du rührst ihn an, wenn ich ihn da rauskriege.«
    »Wie wär’s, wenn du dich um deinen eigenen Scheiß kümmerst?« sagte er und legte auf.
    Das Gerichtsgebäude war aus Sandstein und von Zierrasen und immergrünen Eichen umgeben, deren Kronen bis zum dritten Stockwerk aufragten. Der Beschließer des Bezirksgefängnisses hieß Harley Sweet. Er schaute einen stets mit offenem Mund an, wenn man mit ihm sprach, so als versuche er zu verstehen, worauf man hinauswollte. Aber er war alles andere als verständnisvoll. Als er noch Deputy Sheriff gewesen war, waren viele Männer, die er festgenommen hatte, vor allem die Schwarzen und die Mexikaner, anschließend nicht mehr haftfähig gewesen. Und hinterher gingen sie immer auf die andere Straßenseite, wenn sie ihn auf sich zukommen sahen.
    »Sie wollen Lucas Smothers besuchen, nicht wahr? Um halb eins ist Fütterung. Kommen Sie lieber hinterher«, sagte er. Er erschlug mit seiner Reitgerte eine Fliege, die sich auf seinem Schreibtisch niedergelassen hatte. Dann schaute er mich mit offenem Mund und teilnahmslosem Blick an, so als warte er auf weiß Gott was.
    »Meinetwegen, Harley, wenn Sie’s so wollen. Aber ab sofort vernimmt ihn niemand mehr, es sei denn, ich bin dabei.«
    »Vertreten Sie ihn?«
    »Ganz recht.«
    Er stand auf, öffnete eine Tür mit einem Milchglasfenster und ging in ein Büro nebenan. Er kam mit einer Handvoll Polaroidaufnahmen zurück und warf sie auf seinen Schreibtisch.
    »Schaun Sie sich die Bilder an. So hat sie ausgesehen, als er mit ihr fertig war. Sie hatte Samen in der Vagina, und er hat welchen an der Hose gehabt. Sie hatte Hautfetzen unter den Fingernägeln, und er hat Kratzspuren am Körper. Ich hab keine Ahnung, was die Jungs im Labor dazu sagen. Sie lassen sich vielleicht auf Sachen ein, Billy Bob«, sagte er.
    »Wo hat man sie gefunden?«
    »Dreißig Meter von der Stelle entfernt, wo er weggetreten war.« Er setzte seine
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