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Dunkler Schnee (German Edition)

Dunkler Schnee (German Edition)

Titel: Dunkler Schnee (German Edition)
Autoren: Barbara Klein
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Schneeschicht auf den vereisten Wassermassen. Wind und Schnee haben den Schwung der Wellen konserviert, was an das Frosting auf einem Kuchen erinnert.
    Das Weiß verbindet alles miteinander. Ein kleiner Ausschnitt Welt, in dem es keine Grenzen zu geben scheint; die Gärten, die Ufer, alles ist bedeckt und verbunden, Kanten sind stumpf, Ecken abgerundet. Marisa steht am Fenster, fühlt einen dumpfen Schmerz in ihrem Kopf und stellt erschreckt fest, dass es fast Mittag ist. Bruno hat eine Lache im Flur hinterlassen und schläft in seiner Transportbox.
    „Mist“, flucht Marisa, als sie die Bescherung sieht, und noch einmal „Mist“, als sie die leere Flasche Wein auf dem Teppich im Wohnzimmer findet.
    Ihr Frühstück besteht aus einer Tasse dünnen Kaffees. Irgendwo meldet sich fiepend ihr Handy. Es liegt unter ihren Handschuhen auf dem Tisch und zeigt drei verpasste Anrufe an; zwei von ihren Eltern, einer von Adam. Sie räuspert sich ein paar Mal laut, um ihrer Stimme einen ausgeschlafenen Ton zu verleihen, und ruft ihre Eltern in Köln an.
    Ja, sie sei gut angekommen, es tue ihr leid, vor lauter Schnee habe sie vergessen sich zu melden, es sei alles so wunderbar, Entschuldigung, es komme nicht wieder vor, sie werde sich ab jetzt einmal die Woche melden. Sie wisse, sie sei es ihnen schuldig, alles werde gut, Adam sei ein toller Vermieter und sie sei gut versorgt.
    „Als wär’ ich ein Teenager“, grummelt sie vor sich hin, nachdem sie das Gespräch beendet hat, kann aber nicht umhin, ein schlechtes Gewissen festzustellen. „Mist!“, entfährt es ihr erneut und sie versucht mehr schlecht als recht, ihre Haare zu ordnen.
    Wenig später führt sie ihren Hund an der Leine hinaus. Sie schaut sich um, ob der Nachbar zu sehen ist, und geht dann schnellen Schrittes den Hügel vor dem Haus hinauf, wo man eine weitere Schneise für ein Grundstück geschlagen hat, auf das jemand ein Sommerhaus bauen will. Vielleicht soll die Gegend wieder mehr zur Sommerfrische genutzt werden, überlegt Marisa, und allein das Wort „Sommerfrische“ wirkt wie Balsam in ihrem Hirn. Gleichzeitig kühlt die Luft ihren immer noch benebelten Kopf, und der Anblick des Hundes, der sich wie am Vortag scheinbar existenziell über das Wintergut freut, löst Marisas Angespanntheit langsam auf. Sie stapft durch den Schnee und spürt diffusen Stolz und anfängliche, tiefe Freude als Vorboten für das, was vor ihr liegt. Die Schneise führt auf der anderen Seite des Hügels wieder hinunter. Dort schlägt sie sich durch die Büsche und gelangt zum See. Sie könnte auch von ihrem Garten aus am See entlanggehen, um zu dieser Stelle zu kommen, aber noch fürchtet sie sich vor den Blicken des Nachbarn, der offensichtlich kein Interesse an einer näheren Bekanntschaft hat. Doch wenn sie ehrlich ist, dann möchte sie die Nähe des Mannes unter allen Umständen vermeiden. Der Schrecken sitzt doch tief und wird sicher eine Weile bleiben. Sie stellt sich vor, wie der Mann mit dem Gewehr im Anschlag von seinem Fenster aus jeden ihrer Schritte im Garten beobachtet, und fröstelt dabei unwillkürlich. Ihre Gedanken fortschiebend widmet sie sich wieder dem Weg und gelangt an eine Stelle ans Ufer, wo dichtes Gehölz die Oberhand hat. Bruno springt begeistert herum, als sie die Leine löst, und klettert über Baumstämme, die als Opfer des letzten Hurrikans dem Waldboden neue Nahrung geben werden, schiebt seine Nase so tief in Mauslöcher, dass er anschließend schnaubend und niesend Schnee und Eis wieder loswerden muss und zeigt unaufhörlich die gleiche Begeisterung über die Naturerscheinung.
    Der See öffnet sich an dieser Stelle, um seinem Namen alle Ehre zu geben und zu zeigen, wie verschwenderisch wasserreich die Halbinsel Neuschottland doch ist. Der Frost kann hier gegen die Weite des Gewässers noch nichts ausrichten, und so pladdern die Wellen vor sich hin, schwappen gegen die Schollen, die sich selbstständig gemacht haben, und stoßen auf festere Eisschichten, je näher es dem Ufer kommt.
    Marisa kämpft sich durch das Gestrüpp, verliert immer wieder den Hund aus den Augen, nimmt sich schließlich einen Stock, um Bruno damit anzulocken, doch der Wurf endet kläglich an einem Baum. Der Hund, der erst mit aufmerksamen Augen den Stock in der Hand seines Menschen betrachtet, verliert das Interesse an dieser geringen Herausforderung und läuft wieder voraus. Der Wind, der bislang mäßig wehte, aber durch die Kälte dennoch scharf ist, legt sich mit einem
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