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Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)

Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)

Titel: Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)
Autoren: Karin Fossum
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voller Andacht über diesen jungen Mann, als hätte die Gesellschaft einen unersetzlichen Verlust erlitten. Ich hätte gern verächtlich geschnaubt, riß mich aber zusammen.
    »Jungen kommen auf so viele seltsame Ideen«, sagte ich statt dessen abweisend. »Andreas sicher auch.«
    »Natürlich. Kennen Sie seinen Freund?«
    »Sie meinen Zipp?« Ich versuchte trotz des Hämmerns in meinem Kopf nachzudenken. »Runi hat ihn erwähnt. Aber ich kenne ihn nicht.«
    »Ich habe den Verdacht, daß die beiden, wie Sie sagen, auf sehr seltsame Ideen gekommen sind.« Er sah mich scharf an. »Und ich werde herausfinden, auf welche.«
    Ja. Aber dann bin ich längst weg, und er kann mir nichts mehr tun. Ich war schon auf dem Weg, ich spürte den Boden leise unter mir schwanken. Er erhob sich; sein Gesicht war sehr dicht an meinem.
    »Und jetzt werfe ich einen Blick in den Keller«, sagte er.
    Ich reichte ihm nur bis zur Brust und kam mir lächerlich vor. Aber ich wollte diesen Mann um jeden Preis aus dem Haus haben, und sie können sich doch nicht einfach Zugang zu fremden Häusern erzwingen, deshalb sagte ich nein, jetzt ist das Thema erledigt. Ich habe einfach keine Kraft dazu. Und ich nehme doch an, daß ich das selbst entscheiden darf. Ich habe, wie gesagt, nicht angerufen und Anzeige erstattet. Wenn ich Hilfe brauchte, hätte ich darum gebeten.
    Er lächelte nicht, er sah mich nur an. »Ich glaube, Sie brauchen Hilfe. Nicht alle bitten darum.«
    Dann deutete er eine Verbeugung an und ging zur Tür. Dort drehte er sich noch einmal um, und er sah ernst aus und ziemlich entschieden, als er sagte: »Ich schicke jemanden. Auf Wiedersehen, Frau Funder.«
     
    Aber dann wird es zu spät sein. Ich gehe jetzt. Verurteilen Sie mich nicht, Sie waren nicht dabei! Mein Leben lang habe ich die Menschen danach beurteilt, was sie sein sollten, nicht danach, was sie sind. Und jetzt ist es zu spät. Ich bin auf die Welt gekommen und habe alles falsch gemacht. Ich bin fast sechzig. Einen neuen Anfang schaffe ich nicht, das wäre zu schwer. Und wenn wir alles begreifen, wozu leben wir dann noch? Jetzt, da ich hier stehe und das Haus verlassen will, überkommt mich ein seltsames Gefühl. Etwas, das all die Jahre in mir gesteckt hat. Ich schiebe mit dem Fuß den Läufer beiseite und öffne die Luke. Rufe nach unten: »Ich gehe jetzt, Andreas. Die Tür lasse ich offen!«
    Ich gehe in meinem braunen Mantel durch die Stadt. Empfinde eine Art Frieden. Ich gehe nicht wie sonst in der Angst, etwas Wichtiges vergessen zu haben, ein Fenster, das auf Kippe steht, eine brennende Kerze. Wind kommt auf, Nieselregen befeuchtet mein Gesicht. Alles wirkt traurig. Die schweren Baumwipfel, die zu resignieren scheinen. Der Müll auf den Straßen, weißes, mit Ketchup beschmiertes Papier. Streunende Hunde. Ich mag Hunde nicht, und magere schon gar nicht, sie sehen feige aus und betteln die ganze Zeit. Tapfer sein, Irma! Ich bin nicht verzweifelt. Ich war im Theater und empfinde nun die Leere, die uns bei einem schlechten Stück überkommt. Wenn es Zeitverschwendung war. Jetzt wissen Sie alles. Aber es spielt keine Rolle, daß Sie das alles lesen. Aber denken Sie an meine Worte, wenn Sie in der Zeitung blättern; glauben Sie nicht, was dort steht. Glauben Sie niemandem.
    Ich denke an meine Eltern. Sie stehen immer noch vor dem gelben Haus. Auch jetzt winken sie nicht. Nein, das wäre ein Geständnis. Und dann, endlich, denke ich an Zipp. Wenn er doch aufwachen und sein Leben in die Hand nehmen würde! Etwas Vernünftiges damit anfangen! Die bleiche Septembersonne sehen, wenn sie schräg durch die Baumkronen scheint und das trockene Laub in lauteres Gold verwandelt. Nein, nicht heute, denn heute regnet es, aber vielleicht morgen. Doch niemand hat ihm das beigebracht, und mir hat es auch niemand beigebracht. Hinter mir leuchtet das Haus. Henry hat gesagt, es sei auf Lehmboden gebaut, es sei nur eine Frage von Zeit und Regen, wann es sich lockern und davongleiten würde.
     
    Der Zusammenstoß mit dem Hund ließ ihn gegen die Wand knallen. Er rieb sich seinen wehen Hinterkopf. Und horchte in die Wohnung hinein. War sie angezogen? Rauchte sie Hasch?
    Es war beruhigend zu hören, daß sie telefonierte. Sicher mit einer Freundin, denn sie kicherte wie eine Göre. Er versuchte, den wild springenden Hund zu beruhigen, und hängte seine Jacke auf. Ging in die Küche und wusch sich die Hände. Öffnete den Kühlschrank und schaute hinein. Kollberg kam hinterher und machte
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