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Dunkler Dämon

Dunkler Dämon

Titel: Dunkler Dämon
Autoren: Jeff Lindsay
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würde er nur einen verschwommenen, leuchtend gelben Fleck vorbeijoggen sehen. Ein entschlossener Läufer auf seinem Nachmittagstrab, ob bei Regen oder Sonnenschein.
    Und ich trabte ungefähr eine Viertelmeile den Weg hinunter. Wie ich gehofft hatte, zeigte sich in der Wachhütte kein Anzeichen von Leben, und ich joggte zu dem großen Parkplatz am Wasser. Die letzten Kais ganz rechts beheimateten ein Grüppchen von Booten, die unwesentlich kleiner waren als die großen Sportfischer und Millionärsspielzeuge, die näher zur Straße hin vor Anker lagen. MacGregors bescheidener Kabinenkreuzer, die
Osprey,
lag fast am Ende.
    Der Jachthafen war verlassen, und ich trat unbekümmert durch das Tor im Maschendrahtzaun, vorbei an einem Schild mit der Aufschrift BETRETEN DER KAIANLAGEN NUR BOOTSEIGNERN GESTATTET . Ich bemühte mich um ein schlechtes Gewissen, weil ich eine so bedeutsame Anordnung missachtete, aber es gelang mir nicht. Auf der unteren Hälfte des Schilds stand ANGELN VOM KAI AUS IST UNTERSAGT , und ich gelobte mir, das Angeln um jeden Preis zu unterlassen, wonach ich mich wegen des Verstoßes gegen die andere Regel besser fühlte.
    Die
Osprey
war um die fünf Jahre alt und wies nur wenige der floridatypischen witterungsbedingten Spuren auf. Deck und Reling waren sehr sauber geschrubbt, und ich achtete darauf, beim Klettern an Bord keine Schmutzspuren zu hinterlassen. Aus irgendeinem Grund sind die Schlösser von Booten nie besonders kompliziert. Vielleicht sind Seeleute ehrlicher als Landratten. Wie auch immer, ich brauchte jedenfalls nur wenige Sekunden, um das Schloss zu knacken und in das Innere der
Osprey
zu schlüpfen. In der Kajüte fehlte der modrige Geruch nach altem Schimmel, den so viele Boote annehmen, wenn sie, und sei es nur für wenige Stunden, versiegelt in der subtropischen Sonne liegen. Stattdessen lag ein Hauch von Kiefernduft in der Luft, als hätte jemand so gründlich geputzt, dass weder Bazillen noch Gerüchen die geringste Überlebenschance blieb.
    In der Kajüte standen ein kleiner Tisch, eine Kombüse und eines dieser kleinen, kombinierten TV -Videorekorder-Geräte auf einem mit einem Geländer gesicherten Regal, neben dem ein Stapel Videos lag:
Spiderman, Bärenbrüder, Findet Nemo
. Ich fragte mich, wie viele Jungen MacGregor hatte über die Klinge springen lassen, um Nemo zu finden. Ich hoffte inbrünstig, dass Nemo bald ihn fand. Ich trat hinüber in die Kombüse und begann Schubladen zu öffnen. Eine war gefüllt mit Süßigkeiten, die nächste mit Plastikspielfiguren. Und die dritte war bis zum Rand voll gestopft mit Paketbandrollen.
    Paketband ist eine wunderbare Sache, und wie ich sehr gut weiß, kann man es für viele bemerkenswerte und nützliche Dinge verwenden. Aber zehn Stück in einer Schublade auf dem Boot vorrätig zu halten, hielt ich für ein wenig übertrieben. Es sei denn natürlich, man nutzte es für einen bestimmten Zweck, der Unmengen davon erforderte. Vielleicht ein wissenschaftliches Projekt unter Mitwirkung zahlreicher kleiner Jungen? Selbstverständlich nur eine Vermutung, basierend auf der Art, in der ich es verwende – natürlich nicht bei kleinen Jungen, sondern bei rechtschaffenen Bürgern wie zum Beispiel … MacGregor? Das schien immer wahrscheinlicher, und der Dunkle Passagier schnalzte erwartungsvoll mit seiner trockenen Echsenzunge.
    Ich ging die Stufen hinunter in den engen, vorderen Bereich, den Verkäufer vermutlich das Privatgemach nennen. Es war kein fürchterlich elegantes Bett, nur eine dünne Schaumstoffmatratze auf einem erhöhten Brett. Ich berührte die Matratze, und unter dem Stoff raschelte es: ein Gummiüberzug. Ich stellte die Matratze auf. In dem Brett waren vier Ringbolzen verschraubt, einer an jeder Ecke. Ich hob die Klappe unter der Matratze an.
    Auf einem Boot kann man vernünftigerweise erwarten, eine gewisse Anzahl von Ketten zu finden. Aber die dazugehörigen Handschellen kamen mir nicht sonderlich nautisch vor. Selbstverständlich konnte es dafür eine sehr gute Erklärung geben. Es war möglich, dass MacGregor sie bei streitlustigen Fischen einsetzte.
    Unter den Ketten und Handschellen lagen fünf Anker. Auf einer auf Weltumseglung befindlichen Jacht mochte das eine sehr gute Idee sein, aber für ein kleines Wochenendboot schien es ein bisschen übertrieben. Wofür, um alles in der Welt, konnten sie sein? Falls ich mein kleines Boot in dem Wunsch auf die weite See steuern würde, eine Reihe kleiner Leichen sauber und
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