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Dunkle Wasser

Dunkle Wasser

Titel: Dunkle Wasser
Autoren: Mary Jane Beaufrand
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Ihre Vorgärten bestanden entweder aus einer Viertelmeile Kies oder aus einer Viertelmeile Kies mit verrosteten Pick-ups und frei laufenden Promenadenmischungen. Anfangs hatte ich Angst vor den Hunden, von denen manche groß und Respekt einflößend wirkten, wenn sie so unangeleint und ohne schützenden Zaun herumliefen, aber bald lernte ich, dass die meisten Hunde Jogger aus der Sicht eines Rudeltiers betrachten. Wenn ich bei Tiny ankam, begleitete mich mitunter eine Schar von sechs Hunden. Heute hatte ich biszum Haus der Armstrongs nur Trixie, einen energiegeladenen Terrier, und Thor, einen schlanken Schäferhundriesen mit lautem Bellen und einem Knickohr, das ihm stets einen verdutzten Ausdruck verlieh, aufgegabelt. Bis auf das Ungeziefer, das ihm an Bauch und Ohren herumkrabbelte, war Thor harmlos.
    Das Rufen an diesem Morgen hörte er mit seinem krummen, aber funktionierenden Sonar eher als ich.
    »Karen! Karen!«
    Als ich um die Kurve kam, stand Mr Armstrong neben seinem Briefkasten, dort wo vorher das
Kid for Sale
-Schild gestanden hatte. Er war ein stämmiger Mann mit hellbraunem Haar und wettergegerbter Haut wie bei Leuten, die viel draußen arbeiteten – was er auch tat, denn er war auf dem Bau beschäftigt. Hinter ihm fraßen drei störrische Ziegen seinen Rasen zu Matsch.
    Mr Armstrong schien wegen irgendetwas in Sorge zu sein. Er bemühte sich, es zu verbergen, doch die Unruhe stand ihm ins Gesicht geschrieben.
    »Morgen«, grüßte ich mit einem Nicken.
    »Hast du Karen gesehen?«, fragte er.
    »Nein.«
    In meinem Herzen fühlte ich, wie etwas einen kleinen Purzelbaum schlug. Mittlerweile hätte ich daran gewöhnt sein müssen. Karen war eine Entdeckerin – ständig war sie auf der Suche nach neuen Orten und Erlebnissen. Auf ihren Streifzügen vergaß sie manchmal die Zeit. Aber sie kam immer zurück.
    Mir fiel ein, wie ich beim Rausgehen auf die Sandkuchen gestoßen war. »Ich glaube, sie war heute früh bei uns. Sie hat uns ein Geschenk dagelassen. Gesehen hab ich sie aber nicht.«
    Mr Armstrong lächelte mit angehaltenem Atem. »Hoffentlich ist sie nicht unten am Fluss. Sie weiß, dass sie da nicht allein hin soll.«
    Mich überkam ein Frösteln, obwohl ich sowieso schon ganz durchnässt war. An Tagen wie diesem, wenn der Schnee auf den Gipfeln zu schmelzen begann, war die Strömung schnell.
Verlorn, verlorn, verlorn
… selbst hier konnte ich das Klagen des Flusses hören.
Es ist nichts passiert
, sagte ich mir.
Sie ist doch ständig verschwunden
.
    »Bestimmt geht’s ihr gut. Wenn ich sie sehe, bring ich sie nach Hause.« Ich warf einen Blick auf meine Uhr. »In vierunddreißig Minuten müsste ich wieder hier sein. Wenn wir sie bis dahin nicht gefunden haben, helfe ich Ihnen, das Gelände zu durchkämmen.«
    Mr Armstrong seufzte und sah ebenfalls auf die Uhr. »Dreiunddreißig. Du hast was wettzumachen.«
    »Für Karen schaff ich’s auch in zweiunddreißig.«
    Ich bemühte mich, ihn aufmunternd anzulächeln. Dann winkte ich und lief weiter, froh, wieder weg zu sein. Mr Armstrongs Sorge war so spürbar wie eine Wand. Doch wie ich herausfinden sollte, gibt es Dinge, vor denen kann man nicht davonlaufen.

    Kurz vor der Santiam Forststation hatten mein Rudel und ich Bailey eingesammelt, einen Mischling, der oben herum aussah wie ein gewöhnlicher Golden Retriever, aber kurze Stummelbeinchen hatte wie ein Basset. Bailey ernst zu nehmen fiel schwer. Mit den Stummelbeinchen sah er aus wie ein Clown.
    Das Schild an der Forststation verkündete, dass heute nur geringe Waldbrandgefahr bestand. Ich spuckte das Regenwasser aus, das mir aus den Haaren die Nase hinunter in den Mund gelaufen war. Einmal hatte ich den Fehler begangen, Ranger Dave für Tage wie heute ein ›Dreimal darfste raten‹-Feld auf seinem Warnschild vorzuschlagen. Da hatte er sich wütend zu mir umgewandt und mir seinen schmalen Finger in die Brust gestoßen. »Weißt du, wie viel Waldfläche wir letzten Sommer verloren haben? Hast du die Ostseite vom Pass überhaupt schon mal gesehen? Das Feuer war so außer Kontrolle, da können wir von Glück sagen, dass niemand umgekommen ist.«
    Damals entschuldigte ich mich aufrichtig und bot ihm noch ein paar erstklassige Muscheln mit Ancho-Chili-Salsa an, aber ich glaube, in dem Augenblick wurde mir klar, dass es in Hoodoo so anders war als in meinem alten Leben, dass ich nichts mehr als selbstverständlich voraussetzen konnte. In Hoodoo konnte man noch nicht mal Witze übers Wetter
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