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Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Dunkle Wasser in Florenz

Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Dunkle Wasser in Florenz

Titel: Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Dunkle Wasser in Florenz
Autoren: Marco Vichi
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hervorschaute. Man konnte sehen, dass ihn ein Tier angenagt hatte.
    »Wildschweine«, murmelte Casini. Der ekelerregende Leichengestank überdeckte beinahe den durchdringenden Geruch des Unterholzes.
    »Das muss er sein«, sagte Piras und hielt sich die Nase zu.
    »Wir werden es gleich wissen … Calosi, habt ihr schon Fotos gemacht?«
    »Ja, Dottore.«
    »Dann gib mir mal den Spaten.« Casini begann möglichst vorsichtig zu graben. Der Jäger beobachtete alles mit halb geöffnetem Mund. Erst kam ein Unterschenkel, dann ein Oberschenkel zum Vorschein, der Po, der Rücken und schließlich der Kopf. Der Körper war vollständig nackt. Es stank unerträglich, und Calosi entfernte sich schnell, während er seinen Brechreiz unterdrückte. Der Junge lag mit dem Gesicht nach unten. Mit Hilfe des Spatens drehte Casini ihn auf den Rücken, und Piras verzog angewidert das Gesicht. Die Augenhöhlen waren voller Würmer. Das Gesicht des Jungen war erdverkrustet und seine Züge kaum noch zu erkennen. Auf einen dumpfen Schlag hin drehten sie sich um. Der Jäger war ohnmächtig geworden, sein Hund begann zu bellen.
    »Kümmere du dich um ihn, Calosi.« Casini zog ein Taschentuch aus seiner Jackentasche und säuberte ganz sanft das bleiche Gesicht des Jungen, dabei gab er Acht, dass er ihn nicht mit den Fingern berührte. Er musste sich immer wieder abwenden, um Atem zu holen. Im Krieg hatte er viele Tote gesehen. Auch Kinder waren darunter gewesen, sogar Säuglinge.
    »Das ist er«, sagte Piras mit versteinertem Gesicht.
    »Ja, das ist er«, knurrte der Kommissar und warf das schmutzige Taschentuch fort. Er hatte nur ein paar Fotos gesehen, aber trotzdem war der Junge unschwer zu erkennen. Endlich hatten sie Giacomo Pellissari gefunden. Da lag er, nackt, dreckverschmiert, tot. Die Vorstellung, den Eltern diese Nachricht überbringen zu müssen, schnürte ihm die Kehle zu. Der Jäger hatte sich in der Zwischenzeit erholt, auch wenn er auf dem Boden sitzen geblieben war. Casini ging zu ihm.
    »Kommen Sie hier häufiger vorbei?«, fragte er.
    »Ja, ich wohne in Pescina, dort hinten Richtung Lucolena«, sagte der Jäger und vermied es, zur Leiche des Jungen hinüberzublicken. Er hatte ein eingefallenes Gesicht und sonnengegerbte Haut, die von vielen Falten durchzogen war. Wahrscheinlich war er Bauer und vermutlich nicht älter als vierzig.
    »Kennen Sie die Gegend gut?«, fragte der Kommissar.
    »Wie meine Westentasche.«
    »Führen außer dem Weg bei La Panca noch andere hier hinauf?«
    »Es gibt noch ein paar. Von Figline aus, von Poggio alla Croce und von Ponte agli Stolli, wenn man von Celle kommt, aber die sind alle drei ziemlich holprig.«
    »Kommt man mit dem Auto durch?«
    »Nein, da sind viel zu viele Steine und Schlaglöcher. Da reißt es einem ja die Ölwanne weg, und man verliert …«
    »Und zu Fuß?«
    »Zu Fuß ist es etwas anderes.«
    »Ist es sehr weit nach Poggio alla Croce?«
    »Nicht sehr. Weiter oben kommt man zur Gabelung an der Cappella de Boschi, und wenn man den linken Weg nimmt, braucht man etwa ein Stündchen.«
    »Und nach rechts?«
    »Da kommt man nach Pian d’Albero, wo man die Partisanen von Potente umgebracht hat. Auch von dort kommt man nach Poggio. Aber immer zu Fuß. Die Wege sind sehr schlecht.«
    »Danke.« Casini zündete sich eine Zigarette an und dachte wieder an seine Wanderung mit Botta. Ohne es zu wissen, waren sie ganz nahe an der Leiche des Jungen vorbeigelaufen, aber sie hatten nur Pilze gefunden.
    »Kann ich jetzt gehen?«, fragte der Jäger.
    »Haben Sie noch etwas Geduld, Sie müssen noch aufs Präsidium, um das Protokoll zu unterschreiben«, sagte der Kommissar. Die Sonne drang nun durch die Baumkronen und verbreitete ihren goldenen Schein zwischen den dunklen Stämmen. Ein Pfiff des Sarden ließ Casini zu ihm hinüberblicken, und Piras machte ihn auf zwei Männer aufmerksam, die zwischen den Bäumen näher kamen. Tapinassi und Diotivede.
    Der Gerichtsarzt grüßte sie mit einem leichten Heben des Kinns und eilte direkt zur Leiche des Kindes. Sobald Topinassi den toten Jungen sah, blieb er wie angewurzelt stehen, sein Gesicht war bleich wie ein Laken. Er verharrte ein paar Sekunden mit offenem Mund, dann wandte er sich ab.
    Diotivede öffnete seine Tasche, holte ein Handtuch hervor und breitete es neben der Leiche aus. Er zog sehr sorgfältig Latexhandschuhe über, kniete sich auf das Handtuch und beugte sich dann über den Jungen, um ihn zu untersuchen; dabei berührte er ihn an
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