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Dunkle Tage

Dunkle Tage

Titel: Dunkle Tage
Autoren: Gunnar Kunz
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Taschenlampe aus der Hand geschleudert, was er mit einem Fluch quittierte. Es gelang dem Unbekannten, ihn beiseitezustoßen und auf die Treppe zuzuhasten, doch dort stellte sich ihm Hendrik in den Weg. Gerangel folgte. Die Polizisten vom Hof und aus dem Hausflur kamen, durch den Lärm alarmiert, herbeigerannt. Gemeinsam gelang es ihnen, die sich wehrende Gestalt zu überwältigen. Der Schein mehrerer eilig entzündeter Laternen enthüllte einen bleichen Friedrich Unger.
    Gregor entwand ihm das Stück Papier aus den behandschuhten Händen, das er in den vermeintlichen Keller der Broschecks hatte werfen wollen. „Dachte ich’s mir doch! Die Einlieferungsbescheinigung für das Päckchen mit dem Messer.“ Er legte seinem Gegenüber Handschellen an. „Friedrich Unger, ich verhafte Sie wegen Mordes an Ihrem Bruder.“
    Friedrichs Augen hatten seine Nichte entdeckt und ruhten unverwandt auf ihr. „Ich habe dir vertraut!“, sagte er.
    „Und ich dir. Warum hast du es getan? Warum du?“
    „Du hast ja keine Ahnung, wie es ist, tagaus, tagein gedemütigt zu werden! Vom eigenen Bruder, der dir das vorenthält, was dir zusteht. Der seine Position missbraucht, um dich zu zwingen, ihm die Schuhe zu lecken!“ Friedrichs Kiefermuskeln mahlten. „Er hat mich behandelt wie einen gewöhnlichen Einbrecher! Und alles nur, weil ich etwas Geld aus der Kasse genommen habe! Ich war schließlich sein Bruder! Ich hätte es schon irgendwie zurückgezahlt. Und dann seine ewige Herablassung! Als sei er Gott persönlich und ich nichts als Abschaum unter seinen Füßen. Es hat gut getan, ihm das Messer in den Leib zu rammen, ja, gut getan!“ Von einer Sekunde zur anderen sank er in sich zusammen. „Du weißt, wie er war, Vivace!“, sagte er weinerlich. „Warum hältst du nicht zu mir? Du musst mich doch verstehen!“
    Diana sah den Mann, der ihr einmal so nahe gestanden hatte, aus schwimmenden Augen an. „Du hättest mein ganzes Mitgefühl – wenn du nicht versucht hättest, andere für deine Tat büßen zu lassen.“
    Dann drehte sie sich um und rannte nach draußen.
27
    Weder Hendrik noch Diana dachten daran, Schlaf nachzuholen; die Aufregungen der vergangenen Nacht hielten ihren Adrenalinspiegel hoch. Gemeinsam räumten sie bis zur Morgendämmerung einen Raum in Hendriks Wohnung aus, um Platz für Dianas persönliche Habe zu schaffen, er systematisch, sie mit enthusiastischer Planlosigkeit.
    Der Putsch war vorüber, wenngleich die Stadt noch immer vor Unruhe brodelte und Auseinandersetzungen zwischen Arbeitern und Soldaten an der Tagesordnung waren. Noch streikten die Drucker, noch fehlten überall Elektrizität und Gas, noch fuhren weder Straßenbahnen noch Fernzüge, und doch erschienen die vergangenen Tage den meisten Leuten bereits wie ein Spuk. Diana war zuversichtlich, dass die Republik endlich zur Ruhe kommen würde und den Menschen die Augen aufgegangen waren.
    Hendrik äußerte sich skeptischer. „Die Bürger ärgern sich bloß darüber, dass die 52 nicht ins Geschäft fährt und die gewohnte Morgenzeitung ausbleibt“, lautete sein Resümee. Immerhin würde der Rektor der Universität nach dem Zusammenbruch der „Regierung Kapp“ aufgrund seiner eigenen dubiosen Rolle vorerst kleine Brötchen backen und sich daher mit Disziplinarmaßnahmen zurückhalten.
    Die eilig ausgerufene Fahndung nach Leander Sebalds Mörder, basierend auf Hendriks Beschreibung, war bislang ohne Erfolg geblieben. Auch Ludwig Sebald war spurlos verschwunden.
    Gegen Morgen tauchte Gregor auf. Diana wischte sich den Schweiß von der Stirn und begrüßte ihn mit einem Lächeln. Die körperliche Arbeit hatte ihr gut getan und dabei geholfen, über ihren Schmerz hinwegzukommen. Und natürlich die Nachricht, dass Professor Planck sie für zwei Jahre als Assistentin einstellen würde. Da er in der Villenkolonie Grunewald wohnte, nicht weit vom Anwesen der Ungers, hatte er seine Entscheidung gestern Abend selbst überbracht, und ihre Tante hatte ihr die frohe Botschaft durchgegeben, als sie nach Friedrichs Entlarvung miteinander telefonierten.
    Durch die Verhaftung und die damit verbundenen Anordnungen, die zu treffen waren, hatte Gregor noch keine Gelegenheit gehabt, Fragen zu stellen; das holte er nun nach. „Mir ist immer noch nicht klar, wie du auf Friedrich gekommen bist“, sagte er zu seinem Bruder.
    „Da waren erst einmal die vielen falschen Spuren, die offensichtlich nur den Zweck hatten, unseren Verdacht von den Hausbewohnern abzulenken: der
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