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Dunkle Spiegel

Dunkle Spiegel

Titel: Dunkle Spiegel
Autoren: M Rucket
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während er versuchte, es sich auf dem harten Plastikstuhl bequem zu machen und seine vor sich liegenden Papiere zu ordnen begann.
    Schon oft hatte ich versucht mir vorzustellen, was sich jemand wohl dachte, der ihm zum ersten Mal begegnete - und nicht wie ich, der ihn jetzt schon seit fast vierzehn Jahren kannte. Damals war er einer der besten und gleichzeitig gefürchtetsten Detectives des ganzen Bezirks. Seine Aufklärungsquote war enorm hoch. Und dass er zur Lösung seiner Fälle manchmal seine Kompetenzenund die Regeln etwas dehnte war allen bekannt. Aber der Zweck heiligte die Mittel, und so wurde es stillschweigend geduldet.
    Tatsächlich vertraten viele die Meinung, dass man damals wie heute nur zwei Möglichkeiten hat: entweder alles streng nach Vorschrift - dann ging es lediglich den kleinen Fischen an den Kragen, aber an die Großen ranzukommen, hieß einen Sechser im Lotto zu erleben. Oder die Regeln etwas zu den eigenen Gunsten zu verändern. Mit entsprechendem Schneid, einer Portion Unverfrorenheit und viel Selbstvertrauen konnte man dann schon wesentlich mehr erreichen.
    So ein Typ war auch Chief Whealer. Er ging schon auf die Sechzig zu, hatte aber von seinem Biss noch nichts verloren. Auch wenn sein Wirkungskreis heute eher auf dieses Gebäude beschränkt war und er kaum noch auf der Straße dienstlich zu tun hatte, war er über alles, was da draußen vorging, bestens informiert. Er hielt Distanz zu den Kollegen und Vorgesetzten gleichermaßen, ließ niemanden zu dicht an sich heran und blaffte eher schon mal rum, ehe er sich zu einem Kompliment oder einem freundlichen Wort herabließ. Seine Autorität war unantastbar. Er hatte sich den Respekt bei den Detectives und Cops erarbeitet. Und selbst wenn sich im Stillen der Eine oder Andere über ihn beschwerte und fluchte, so war es doch auch immer eine Art Bewunderung, die ihm von vielen Seiten zuteil wurde - so wie auch ich ihn damals bewundert hatte, als ich ihm in Form eines jungen und noch unerfahrenen Streifenpolizist begegnet war und mir meine Anerkennung bei ihm schwer erarbeiten müssen. Doch hatte ich es als Ansporn empfunden, was mich letztenendes zu dem gemacht hatte, was ich heute war: ein entschlossener Detective, der seine Fälle unbedingt aufklären wollte - auch unter Einbeziehung größerer Mühen, mehr Blut und Schweiß als nach Vorschrift üblich.
    Nun saß Chief Whealer vor uns, über die Papiere gebeugt, hatte seinen Unterkiefer nach vorn gereckt und schien die Seiten über seine Brille nur kurz zu überfliegen. Ich vermutete, dass er sich diese Seiten schon ein dutzend Mal sehr genau durchgelesen hatte, und nun nur nach dem richtigen Ansatz suchte.
    Ruckartig hob er den Kopf und sah uns der Reihe nach an.
    “Soweit wieder bei der Sache?” fragte er knurrend. Sein Blick wanderte zu mir und verharrte einen Augenblick. “Für Sie war das der letzte Spaß für die nächsten zweieinhalb Monate, nur damit das klar ist.”
    Autsch, das war Salz in meiner Wunde. Chief Whealer wusste genau, wie hart wir an unserem letzten Fall arbeiteten, ohne auch nur einen einzigen wirklich brauchbaren Hinweis zu finden. Er wusste, dass ich mir die Nächte um die Ohren schlug, inzwischen Tage vor diesen Aufzeichnungen an der Tafel verbrachte und praktisch kaum noch etwas aß. Aber so war der Chief. Ich schluckte kurz, räusperte mich und fragte:
    “Gibt es neue Ansatzpunkte?”
    “Es gibt etwas viel Besseres, meine Herrschaften.” Er machte eine kurze Pause, lehnte sich zurück und sah uns mit einem fast schon mitleidigen Blick an. “Es gibt einen neuen Mord.” sagte er ohne die geringste Andeutung einer Wertung.
    “Wer? Und Wo?” fragte Ramirez sofort. Whealer zog eine Akte unter seinem Stoß von Papieren hervor, die gewiss schon die ganze Zeit dort lag, aber nie sichtbar war.
    “Eine junge Frau. Adriana Lion, sechsundzwanzig Jahre alt. Gefunden durch eine aufmerksame Nachbarin. Gute Wohngegend.”
    “Schon jemand von unseren Leuten dort?” fragte ich.
    “Nein,” antwortete Whealer, “ich habe die Meldung gerade erst bekommen. Aber es sieht nach unserem Mann aus. Ich würde sagen, dass Sie gleich loslegen!”
    Wir nickten. Ramirez nahm die Akte aus Chief Whealers Hand, überflog die erste Seite und sagte, ohne mich dabei anzusehen:
    “Team 2?”
    “Jal! Und zwar schnellstens.” Ramirez schlug den Deckel wieder zu, griff zum Hörer und drückte eine Tastenkombination. Dann lauschte er eine Sekunde und legte auf. Der Hörer lag noch
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