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Dunkle Materie

Dunkle Materie

Titel: Dunkle Materie
Autoren: Aner Shalev
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Bett in einem Feldlazarett, in das man immer wieder neue Verletzte zur Behandlung bringt.
    Und er fragte sich, ob das Doppelleben, das er schon seit zehn Jahren führte, etwas damit zu tun hatte, dass er kein Kind hatte, ob es etwas damit zu tun hatte, dass Ruth ihm kein Kind schenken konnte, denn diese Affären hatten sofort nach ihrer Abtreibung begonnen, war es etwas Biologisches? Ein blinder Wunsch des Körpers, sich zu vermehren? Und während der ganzen Zeit hörte er Eva weinen, doch nun war es ein leises Weinen, das vielleicht gefährlicher war, er verstand nicht, warum sie weinte, er war doch derjenige, der keine Kinder haben würde, nicht sie.
    Und dann kam ihm in den Sinn, dass es sich hier vielleicht um ein wiederkehrendes Muster handelte, Ruths Abtreibung, Eva hatte doch gesagt, dass eine Geliebte der Ehefrau ähnlich würde und sie nachahme, und es war so, sie ahmte Ruth nach, und wenn die Nachahmung perfekt wäre, würde es auch bei Evas Abtreibung zu Komplikationen kommen, und das Ergebnis würde sein, dass auch Eva keine Kinder mehr bekommen konnte, und so, wie er von Ruth keine Kinder haben würde, würde er auch keine von Eva haben, trotz seiner Hoffnung, dass es dieses Mal anders sein würde, alles war doppelt, jeder Mensch war der Doppelgänger eines anderen, alles verdoppelte sich in diesem doppelten Leben, nie mehr würde es etwas wirklich Neues geben, und er wandte den Blick von dem dunklen Platz, richtete sich auf, schloss das Fenster, drehte sich um und sagte, Eva, hast du das tun müssen? Ich habe dir gesagt, dass du keine Abtreibung machen sollst, hast du das wirklich tun müssen? Aber sie antwortete nicht, sie weinte nur leise weiter, und je leiser ihr Weinen wurde, je zaghafter, umso verzweifelter hörte es sich an, hoffnungslos, als würde sie aufgeben.
    Weine nicht, sagte er, aber sie hörte nicht auf, ihr Gesicht wurde rot und ihre Nase lief, wie die Nase eines vernachlässigtenStraßenkindes, und er ging in das Badezimmer und kam mit Papiertüchern zurück und sagte, Eva, weine nicht, hier, nimm ein Tuch, aber sie zog die Schultern hoch und nahm es nicht, und er sagte noch einmal, Eva, weine nicht, soll ich dir die Tränen abwischen? Und sie zog wieder die Schultern hoch und sagte nichts, und als er sich daranmachte, ihr Gesicht abzuwischen, begann sie herzzerreißend zu weinen, heftiger als zuvor, und dann sagte sie, Adam, es tut mir weh, und er fragte, was tut dir weh? Und plötzlich wusste er nicht mehr, mit wem er sprach, als wären die Abtreibung von Ruth und die Abtreibung von Eva eins, als könne man nicht mehr zwischen beider Schmerz unterscheiden.
    Eva sagte, es tut so furchtbar weh, und ich kann nicht aufstehen, ich fürchte, dass ich viel Blut verliere, und er hob die Decke hoch, sie trug ihr grünes, halb durchsichtiges Nachthemd, er zog das Nachthemd hoch, zog die Unterhose herunter und sah eine Monatsbinde voller Blut, und er fragte, soll ich dir helfen, sie zu wechseln? Und sie sagte, das ist nicht nötig, ich mache es allein, und sie versuchte aufzustehen, ließ sich aber sofort zurücksinken und sagte, Adam, ich bin so schwach, und er sagte, mach dir keine Sorgen, ich werde die Binde wechseln, sag mir nur, wo du sie hast, und sie deutete auf eine blaue Plastiktüte, in der auch die beiden Packungen mit Lachs und Cream Cheese lagen, die sie mittags, auf dem Weg zum Hotel, gekauft hatte, er zog eine Binde aus der Tüte und fragte sie, wo machen wir das?
    Sie sagte, vielleicht im Badezimmer, sonst verschmieren wir das Laken, und er sagte, ich helfe dir aufzustehen, und sie sagte, lieber nicht, hol ein Handtuch und leg es mir unter, dann muss ich nicht aufstehen, und er erinnerte sich, wie er ihr in Jerusalem, in ihrem eigenen Bett, ein Handtuch untergelegt hatte, als sie ihre Periode hatte, sodass er schon erfahren war, und er ging in das Badezimmer und kam mit einem weißen Hotelhandtuch zurück, sie hob das Becken ein wenig und er schob das Handtuch darunter, und als er ihr die Binde wechselte, dachte er, es siehtaus wie eine Windel, und ihm kam in den Sinn, dass er nie ein Baby wickeln würde, er wickelte eine fünfundzwanzigjährige Frau, als wäre sie sein Baby, als wäre er ihr Vater.
    Danke, Adam, sagte sie, und er fragte, soll ich dir etwas ans Bett bringen? Vielleicht ein Glas Tee? Wir haben noch drei Beutel Kräutertee, und sie sagte, nein danke, vielleicht nur ein Glas
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