Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dunkle Häfen - Band 1

Dunkle Häfen - Band 1

Titel: Dunkle Häfen - Band 1
Autoren: Elin Hirvi
Vom Netzwerk:
hing ihm wirr um den Kopf. Das Kind mochte ungefähr acht Jahre alt sein. An seinem Hals hing ein Amulett. Als es nun die Augen aufschlug, war da nur der Schmerz ... sonst nichts. Keine Erinnerungen. Der wolkenverhangene, graue Himmel über ihm hatte keine Bedeutung mehr. Er war so bedeutungslos wie alles um das Mädchen herum, die Bäume, die Wiesen oder die reifen Felder, der Heukarren, auf dem es lag und der verwahrloste Mann vor ihr, sie waren nicht wichtig. Die Leere in ihm ließ keinen Platz für andere Dinge, nur der körperliche Schmerz schaffte es, sie zu durchdringen.
    Der Kutscher sah sich nicht um, er wusste nicht, ob die Kleine noch lebte oder nicht, aber es war ihm eigentlich auch egal. Er war schließlich nicht verantwortlich für sie. Immerhin war es schon großzügig genug gewesen, sie mitzunehmen. Wirklich ein langer, anstrengender Tag heute, überlegte er. Die Aussicht auf ein Bett und Gesellschaft freute ihn. Er hatte morgen einen weiteren Tag der Reise vor sich. Wenn er Glück hatte, waren die Heupreise wie erhofft angestiegen und er bekam ausreichend Geld. Danach würde er sich auf den Rückweg zu seiner nörglerischen Frau und den quengeligen Kindern machen müssen. Erst als er ein schmuddeliges Gasthaus erreichte, dessen verfallenes Äußeres die eingetretene Nacht gnädig verhüllte, sah er sich um. Und plötzlich schauderte ihn. Das Kind hatte sich aufgesetzt und starrte nun vor sich hin. Was ihn so beunruhigte, war der gleichgültige Ausdruck auf dessen Gesicht und insbesondere die Augen, denn sie waren so hellblau wie ein wolkenloser Himmel und ebenso leer. Sie erinnerten ihn an sein jüngstes Kind, das eines Morgens einfach leblos auf seinem Strohlager gelegen hatte und nie mehr aufgestanden war. Der erstarrte Ausdruck war der gleiche gewesen.
    "Wi r werden heute dort übernachten", sagte er, als er den Karren in den Stallschuppen gebracht hatte. "Zumindest werde ich das tun."
    Als das Kind nicht weiter reagierte, ging er nicht ohne Erleichterung zum Wirtshaus hinüber. Lärm, Gelächter und Biergeruch schlug en ihm entgegen, sobald er die Tür öffnete. Zufrieden gesellte er sich zu den Lebenden.
     
    Das Mädchen bemerkte kaum, dass der Mann weg war, es blieb auf dem Heu sitzen und verharrte regungslos. Es erinnerte sich an nichts, nicht mal an seinen Namen, obwohl es früher mal einen gehabt hatte. Vorher. Er war mit allem anderen gestorben. Sein Kopf war so leer wie seine Augen und seine Seele. Irgendwann schlief es ein oder wurde wieder bewusstlos, es machte keinen Unterschied.
    Das gleißende Licht blendete das Mädchen , denn die Sonne stand direkt über ihm. Dann nahm es wieder das Rumpeln des Karrens und die langsam vorbeiziehende Landschaft wahr. Jegliches Zeitgefühl war ihm abhanden gekommen, deshalb wusste es nicht, wie lange sie noch durch die ländliche Gegend fuhren. Schließlich begann sich die Umgebung zu verändern. Die Wiesen und Felder verschwanden, um breiten Straßen Platz zu machen und die vereinzelten Bauernhöfe wichen hohen, dicht gedrängten Häuserzeilen. Das Mädchen selbst fand keine Worte für all diese Dinge.
    Schon die Vororte der Stadt waren sehr groß und grau und die Gassen waren schmutzig und oftmals sehr schmal. Es herrschte ein großes Menschengedränge, überall strömten Leute verschiedenster Kleidung, Größe und Aussehens durcheinander, deren Stimmen zusammen einen solchen Lärm ergaben, dass der einzelne noch lauter schreien musste, um verstanden zu werden. Sogar durch die Betäubung des Mädchens hindurch strahlten diese Menschen eine Bedrohung aus und die schreckliche Unordnung ließ es schwindeln. Sie machten auf es den Eindruck, als wollten sie ihm Böses tun oder würden es in ihrem Strom mitreißen und übertrampeln. Das junge Mädchen drückte sich unwillkürlich enger in das Heu. Ewig lange schien die Fahrt zu dauern, die Stadt und ihre Menschenmengen nahmen kein Ende. Doch dann kam das Fuhrwerk zum Stehen und der Mann kletterte vom Kutschbock.
    "Du musst jetzt runter ", sagte er. "Ich kann dich nicht weiter mitnehmen."
    Zögernd streckte er die Hand nach dem Kind aus, um es herunterzuheben. Es zuckte zurück und starrte ihn aus seinen beängstigenden Augen an. Mit einiger Überwindung versuchte er es noch einmal und stellte die Kleine auf den Boden. Sobald sie fest stand, ließ er sie los, eilte zu seinem Wagen und schwang sich hinauf. Er unterdrückte sein schlechtes Gewissen, weil er sie hier einfach absetzte und trieb dann seinen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher