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Dunkle Häfen - Band 1

Dunkle Häfen - Band 1

Titel: Dunkle Häfen - Band 1
Autoren: Elin Hirvi
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deshalb war es düster. Die Frau brüllte ein paar Namen und darauf kamen einige andere Frauen verschiedenen Alters herein. Sie trugen mehrere Dinge mit sich, die sie auf dem Tisch ablegten. Dann umringten sie das Mädchen und zogen ihm die Kleider aus. Es fröstelte an der kühlen Luft. Nun wurde es wieder gepackt und in einen Badebottich befördert, der mit eiskaltem Wasser gefüllt war. Ohne Rücksicht wurde es geschrubbt und gesäubert. Als das Bad endlich beendet wurde, war es schon fast erfroren und seine Haut kribbelte und brannte nach dem Abtrocknen. Anschließend ölte man das Mädchen von oben bis unten ein. Die letzte Etappe der Prozedur war, dass man es in saubere, kratzende Kleidung steckte. Zufrieden musterten die Frauen ihr Werk.
    "Schon viel besser ", urteilte die Alte. "Wir brauchen jetzt nur noch einen passenden Namen."
    Das Kind hatte keinen Namen mehr. Es brauchte auch keinen neuen mehr. Wozu sollte man ein totes Geschöpf benennen? Die Alte schien das nicht zu bemerken, sie grübelte.
    "Es muss ein exotischer Name sein, ein besonderer. Das bringt immer m ehr Geld ein."
    "Wie wäre es mit Semiramis ? Ich habe vor ein paar Wochen von einer Tänzerin gehört, die so hieß. Sie trat im Theater auf und alle fanden sie toll. Der Name klingt jedenfalls sehr fremd", schlug eine der Frauen vor.
    "Das ist wirklich gut .“ Die Alte war einigermaßen begeistert. "Dann heißt sie also Semiramis."
    So kam sie also zu einem Namen, so seltsam er auch war. Nachdem man sie wieder mehrmals herumgedreht und gemustert hatte, brachte man sie erneut die knarrenden Treppenstufen herunter und aus dem Haus hinaus.
    Dort wartete immer noch ungeduldig der Mann, der sie hierher verschleppt hatte. Er zahlte der Alten den Rest des Geldes und sie verließen die garstigen Frauen mit ihrem düsteren Haus. Die neue Semiramis fragte nicht, wohin sie gingen. Die Wolken waren inzwischen schwer und grau geworden, es hatte zu regnen begonnen. Der Straßendreck löste sich auf und alles wurde matschig. Einen Fluch murmelnd, wickelte der Mann Semiramis in einen braunen Mantel mit zahllosen Flicken ein, der nach Körperausdünstungen roch. Er tat das nicht aus Mitleid, sondern, damit er sein Geld nicht umsonst ausgeben hatte.
    "G anz schön kalt für Herbstanfang", knurrte er schlechtgelaunt.
    Er selbst war vom Regen durchnässt worden, während er gewartet hatte. Zudem war er mit Dreck bespritzt, weil eine Kutsche eilig durch das Gedränge geprescht war.
    "Blödes Reichenpack!" , schimpfte er. "Die machen sich ein schönes Leben und werden nie nass, während unsereins von ihnen bespuckt und ausgebeutet wird."
    Der Mann war sehr wütend. Deutlich war die Bitterkeit aus seiner Stimme zu hören. Er ließ seinen Zorn in Form von Tiraden an der Kleinen aus, als wäre sie für den Regen oder den Vorteil der Adeligen verantwortlich. Sie nahm keine Notiz von alldem.
     
    Ihr Weg führte immer noch durch das Straßenlabyrinth der Stadt. Ohne richtiges Zeitgefühl wusste Semiramis nicht, wie lange sie unterwegs waren. Sie sah nur die monoton heran strömenden Menschen, die Häuser, die alle gleich aussahen und den ewigen grauen Regenschleier. Aber letztendlich erreichten sie das Ziel des Mannes. Dieses war ein hohes, altes Haus, so düster, so verwittert wie alles hier. Das Gebäude war größer als von außen vermutet und innen noch dunkler, so dass alles einen unwirklichen Anschein hatte. Aber für Semiramis war im Grunde schon die ganze Welt unwirklich geworden. Sie hatte sich wie eine Schnecke in ihrem Haus unter einem Schutzmantel aus Gleichgültigkeit verkrochen.
    Der Mann schob das Mädchen durch einen schmalen Korridor, in dem sich mehrere Menschen drängten. An der Wand lehnte eine junge Frau, die ihnen einen neugierigen Blick zuwarf. Sie schauderte leicht, als sie die Augen des Kindes sah, dann aber erkannte sie sein Elend und sie bekam Mitleid mit dem gequälten Geschöpf. Sie fragte sich, was man dem armen Kind angetan hatte. Doch schon einen Augenblick später wandte sie sich ab und zuckte resigniert die Achseln. Ihr eigenes Leben war schrecklich genug, was konnte sie schon ausrichten?
     
    Vor Semiramis wurde eine weitere Tür geöffnet und man brachte sie einen großen Raum. Er war voller Menschen, die meisten waren mit Umhängen in gedämpften Farben bedeckt, aber manchmal sah man das seidige, farbige Stück Stoff einer teuren Robe darunter hervorschimmern. An einer der Wände war ein kleiner Podest aus grob zusammen gezimmerten
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