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Dunkle Häfen - Band 1

Dunkle Häfen - Band 1

Titel: Dunkle Häfen - Band 1
Autoren: Elin Hirvi
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die vierzig Jahre. Ihr dunkles Haar war halb unter einer altmodischen Haube verborgen und sie war ordentlich-bieder gekleidet. Sie wirkte wie ein Mensch, der selten im Mittelpunkt steht.
    "Ich würde mi ch gerne um das Mädchen kümmern", wiederholte sie, als keiner etwas sagte.
    "Du?" , fragte die Köchin in ziemlich unhöflichem Tonfall.
    "Wie du meinst ", warf der Mann schnell ein, bevor sie es sich anders überlegen könnte. "Aber beschwer dich nachher nicht!"
    "D as werde ich bestimmt nicht tun", widersprach die dünne Frau mit einer Spur Schärfe in der Stimme. Dann stellte sie sich zu Semiramis und nahm sanft deren Hand. "Wie heißt sie?" fragte sie den Mann.
    "Semiramis, sagte man mir."
    "Komm mit mir, kleine Semiramis", wandte sie sich an das Kind, das sich folgsam unter den Augen der Anwesenden abführen ließ.
    "Viel Spaß mit dieser Leiche!" , rief ihnen der Mann spöttisch nach.
    Die Frau ging darauf nicht ein, sondern brachte Semiramis durch ein wahres Gewirr von Gängen zu einer Tür, die sie dann öffnete. Die Kammer, die sie betraten, war vollgestopft mit Stoffen und sonstigen Utensilien, die man wohl zum Nähen brauchte. Dadurch entstand ein gemütlicher, wohnlicher Eindruck. Es gab am anderen Ende der Kammer noch eine Tür, die in einen kleineren Raum führte, in dem lediglich ein Bett, ein Tisch und ein Schrank mit einer Kiste darauf standen.
    "Hier wirst du bei mir w ohnen", sagte die Frau zu Semiramis. "Ich muss nur noch ein Bett für dich holen. Ich bin übrigens die Näherin hier in Maple House. Nenn mich doch einfach Martha."
    Sie setzte Semiramis auf das Bett und eilte dann hinaus, um eines für diese zu holen.
    "Nachher baden wir dich dann!" rief sie noch im Türrahmen.
    Das Mädchen saß eine Weile still auf dem Bett, als sie ein Geräusch hörte. Es kam unter dem Tisch hervor. Es ric htete sich auf und schaute nach. Dort stand ein Körbchen, in dem eine graue Katze lag. Sie begann leise zu schnurren, sobald sich das Kind zu ihr setzte und sie vorsichtig streichelte. Zum ersten Mal seit vielen Tagen begann das Eis in Semiramis Herzen zu tauen und instinktiv wusste sie, dass sie bei der Frau in Sicherheit war. Als Martha zurückkehrte, mit einigen Decken unter dem Arm, sah sie das schmutzige Mädchen zusammengekugelt unter dem Tisch bei ihrer Katze liegen. Beide schliefen friedlich, nur die Katze hob kurz den Blick, um sie zufrieden aus ihren grünen Augen anzusehen. Das Tier war Martha zugelaufen und sie hatte es mühsam aufgepäppelt und sein Zutrauen gewonnen. Martha hob Semiramis sanft auf und legte sie auf ihr Bett. Dann deckte sie das Kind zu.
     

Maple House
     
    London, 1692
     
    "Ramis, wo bist du?"
    "Ich komme schon!"
    Martha sah Ramis, deren merkwürdigen Namen sie inzwischen gekürzt hatte, entgegen, wie diese die Treppe heraufkam. Wie hatte sich das Kind verändert! Aus dem leblosen Geschöpf war innerhalb von zwei Jahren ein aufgewecktes Mädchen geworden. Sie war gewachsen und Martha fand, sie sei ein hübsches Kind. Sie dachte an den Anfang zurück, als Ramis kein Wort gesprochen hatte und sie erst mit der Zeit wieder anfing, einzelne Sätze zustande zu bringen. Offensichtlich hatte sie das Sprechen schon vorher gelernt. Ihr erstes Wort sagte sie zu der Katze, indem sie diese Bonny nannte. Martha wurde es warm ums Herz, als sie sich erinnerte, wie die junge Ramis zunehmend lernte, Vertrauen zu ihr zu haben und sie suchten gemeinsam nach der Sprache in Ramis, die irgendwo tief in ihr verborgen zu sein schien. Später stellten sie sogar fest, dass Ramis ein wenig lesen und schreiben konnte. Martha hätte wirklich gerne gewusst, woher das Kind kam. Aber nie redete es von der Vergangenheit. Auch Ramis nächtliche Alpträume gaben keinen Aufschluss darüber. Entweder sie gab schreckliche, wimmernde Töne von sich oder sie schrie - Martha hatte länger gebraucht, um das als Wörter zu erkennen - in einer fremden Sprache. Manchmal redete Ramis auch auf Englisch, aber die Sätze ergaben kaum einen Sinn, außer dass sie von Angst und Entsetzen zeugten. Einmal hatte Martha verstanden:
    "Da ist überall Blut!" , oder mehrmals ein grauenvolles: "Nein! Nein!"
    Als Ramis bei ihr angekommen war, nahm Martha lächelnd ihre Hand.
    "Hilfst du mir bei der Garderobe von Lady Harriet? Ich muss sie morgen fertig haben."
    "Natürlich ", meinte Ramis ganz außer Atem, weil sie so schnell gerannt war. Bonny strich ihr um die Beine herum. "Ich helfe dir doch gern."
    Martha freute sich immer noch
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