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Dunkle Häfen - Band 1

Dunkle Häfen - Band 1

Titel: Dunkle Häfen - Band 1
Autoren: Elin Hirvi
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mithalten konnte. Die Beine drohten Semiramis wegzusacken, aber man gönnte ihr keine Pause. Endlos zogen sich die Gassen dahin, dunkel und verwirrend wie ein Labyrinth und das Gedränge darin schien selbst bei Regen nicht lichter zu werden. Doch entgegen des Eindrucks von Unendlichkeit, veränderten sich die umstehenden Häuser, wurden weniger ärmlich und die Passanten sahen wohlhabender aus. Auf den weitaus breiteren Straßen fuhren elegante Kutschen, von gestriegelten und gut genährten Pferden gezogen. Die Fenstervorhänge waren meist zugezogen, aber ab und zu lugte ein blasses Gesicht mit kunstvoller Perücke dazwischen heraus.
    Einmal blieb der Mann stehen, um mit einem Bekannten zu plaudern. Ihr Käufer hatte unterwegs seinen Mantel abgenommen und ein recht knochiges Gesicht mit schmalen Lippen kam zum Vorschein. Er war ein hagerer Mann mittleren Alters mit gepflegten, braunen Haaren, der nur Verachtung für das kleine Geschöpf empfand, das man ihm aufgetragen hatte zu bringen. Die Schuld, dass er so weit hatte laufen müssen und nass geworden war, gab er dem Kind auch. Aber trotz seiner Rücksichtslosigkeit hatte Semiramis sich nie beklagt oder sich widersetzt . Das verärgerte den Mann nur noch mehr, so dass er sie heftiger als geplant vorwärts stieß und das Mädchen vornüber auf die schmutzige Straße stürzte. Wie eine Puppe blieb es dort einfach liegen bis er es gereizt wieder hochzog. Semiramis Gesicht war mit Dreck beschmiert und einige der alten Schürfwunden waren erneut aufgesprungen. Unbehaglich dachte der Mann daran, was sein Herr sagen würde, wenn das Mädchen so räudig aussah, als hätte er es von der Straße aufgesammelt. Aber immerhin kannte er nur den einen Menschenmarkt und dort hatte es nur ein Mädchen gegeben. Es gefiel ihm auch gar nicht, dass in den blauen Augen nicht die geringste Regung ablesen konnte, trotz der Schmerzen der aufgerissenen Knie und Hände. Wütend verpasste er ihr einen Schlag gegen den Kopf.
    "Nun tu doch endlich etwas, du dummes Gör!" , brüllte er sie an.
    Doch auch das rief keine Reaktion hervor. Er konnte sich gerade noch beherrschen, nicht noch einmal zuzuschlagen. Schließlich stampfte er fluchend weiter.
     
    Nach vielleicht einer halben Stunde erreichten sie ein großes, elegantes Stadthaus, das in einem der besten Viertel der Stadt lag. Es war ein altehrwürdiges Gebäude mit zahllosen Fenstern und einer großen Auffahrt mit Portal. Umgeben war es von einem herrlichen, gepflegten Garten, der durch eine Mauer von der Straße abgegrenzt wurde. Wäre Semiramis nicht so apathisch gewesen, hätte sie den Anblick wohl beeindruckend gefunden. Das Haus glich einem kleinen Palast mit seinen barocken Balustraden und hohen Säulen.
    "So ein unnützes Gör gehört gar nicht in dieses Haus", knurrte der Mann. "Nur weil der Herr..."
    Er redete nicht weiter, weil das Tor geöffnet wurde. Sie gingen an einem Torwärter vorbei, der eine ähnliche Uniform wie der Mann trug, der sie hierher gebracht hatte. Sie nahmen nicht das Hauptportal, sondern betraten das Haus durch den Dienstboteneingang. Auch hier war alles sauber und ordentlich. Man befand sich im Hause einer sehr einflussreichen Familie, wie es schien. Der Mann rief einen Namen, woraufhin von irgendwo her gedämpftes Schimpfen ertönte. Mit lautem Poltern wurde dann eine Tür aufgerissen und im Türrahmen stand ein wahrer Drache. Knallrot im Gesicht und von so voluminösem Umfang, dass sich ihre weiße Schürze bedenklich über den gewaltigen Rundungen spannte und man um die Nähte fürchten musste, bot die Frau einen überwältigenden Anblick. Ihre Haare waren zu einer seltsamen Frisur aufgetürmt. Der Kochlöffel in ihrer Hand ließ die Vermutung zu, dass sie Köchin war. Der Mann ging zu ihr und redete auf sie ein, was Semiramis aber nicht verstehen konnte.
    "Was! ", keifte die Frau mit überraschend tiefer Stimme los. "Du willst doch nicht etwa von mir verlangen, mich um dieses Gör zu kümmern! Such dir jemand anderen oder mach es selbst!"
    Ungeduldig versuchte der Mann sie trotzdem zu überreden. Der Wortwechsel war unüberhörbar und lockte allmählich sämtliche Hausangestellte an. Neugierig starrten sie Semiramis an.
    "Ich werde mich um sie kümmern ", meldete sich nach einer Weile weiteren Gezänks eine ruhige Stimme aus der Zuschauermenge.
    Die Köpfe wandten sich in die betreffende Richtung. Sogar das lautstark diskutierende Paar schaute sich um. Dort stand eine schmale, eher unauffällige Frau um
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