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Dunkle Ernte

Dunkle Ernte

Titel: Dunkle Ernte
Autoren: Simon Mockler
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ertönten, als Mary ans Mikro ging.
    »Hallo, Ed. Er heißt Jack Hartman und studiert am King’s College. Sie müssen so schnell wie möglich dorthin. Aber wir brauchen absolute Zurückhaltung. Observieren Sie unauffällig, in Zivil.«
    Sir Clives Stimme unterbrach sie. »Melden Sie mir sofort, wenn Sie ihn gefunden haben, aber greifen Sie um Gottes willen nicht zu. Ich habe nicht die Absicht, in meiner alten Uni ein Chaos zu veranstalten.«

5
    Dorchester Hotel, London, 20:00 Uhr
    Dr. Ahmed Seladin kratzte energisch an seinen Fingernägeln. Blut war verdammt schwer zu entfernen. Am besten ließ man es erst gar nicht antrocknen. Was war nur aus ihm geworden? Fünf Jahre Studium an der Faculté de Médecine in Rabat, zehn Jahre Spezialisierung in Herz-und Gefäßchirurgie, dann ein einziger dummer Fehltritt, und jetzt machte er sich für einen dubiosen Wissenschaftler von ebenso zweifelhafter Moral die Hände schmutzig.
    Er musterte sich im Spiegel. Seine Schläfen waren grau geworden, die Haare licht. Seine braunen Augen, die immer vor Humor gesprüht hatten, waren stumpf und leer.
    Diese Augen waren es gewesen, die ihn in Schwierigkeiten gebracht hatten. Mit ihnen hatte er seine junge Patientin verführt. Padma Rabhi, siebzehn Jahre alt, schön und ungezähmt wie ein junges Pferd. Sie hatte sich ihm mit Haut und Haar hingegeben, sie war unter seiner Berührung erbebt, in seinen Armen zur Frau gereift. Eine Zeitlang hatte er sich selbst eingeredet, dass er in sie verliebt wäre, und daran gedacht, seine kinderlose Ehe für sie zu beenden. Doch dann hatte ihr Vater, ein bekannter Geschäftsmann mit politischen Verbindungen, alles herausbekommen und sich brutal gerächt.
    Dass Ahmed noch am Leben war, hatte er allein seinem Geschick als Chirurg zu verdanken. Er konnte die Blutung aus den tiefen Wunden stoppen, die man ihm zugefügt hatte, und sich selbst wieder zusammenflicken. Doch Padmas Leben konnte er nicht retten. Sie war für die vermeintliche Schande, die sie über die Familie gebracht hatte, verschleppt und ermordet worden. Ahmeds Karriere war damit beendet gewesen. Padmas Vater hatte dafür gesorgt, dass er in keinem Krankenhaus je wieder Arbeit bekommen würde.
    Seither blieben ihm nur noch die abseitigen Pfade. Aufträge jenseits des Gesetzes, Schönheitsoperationen in illegalen Hinterhofkliniken, Abtreibungen bei den Geliebten hochrangiger Regierungsmitglieder. Und so war er auch an diesen Job gelangt. Sein Name hatte sich in einschlägigen Kreisen herumgesprochen, bis der Kontakt zustande gekommen war. Und die Bezahlung stimmte. Damit würde er sich eine neue Identität kaufen, aus Casablanca verschwinden und vielleicht sogar irgendwo weit weg eine Praxis eröffnen können, in Südamerika vielleicht oder der Dominikanischen Republik.
    Er betrachtete sein Spiegelbild. Seine Augen waren vom gleichen stumpfen Braun wie die Lehmwände des Hauses, in dem er aufgewachsen war. Eine Erinnerung daran, wie weit er gekommen und wie tief er gefallen war.
    Einer der Söldner trat, ohne anzuklopfen, durch die Tür und schlug ihm mit der Hand auf die Schulter. »Kommen Sie, Ahmed, Sie brauchen zum Fertigmachen länger als eine Frau«, sagte er, öffnete seinen Reißverschluss und urinierte ungeniert neben ihm in die Toilettenschüssel.
    Ahmed ignorierte ihn und ließ eiskaltes Wasser in das Waschbecken laufen. Der Mann war schließlich nur ein einfacher Befehlsempfänger. Ahmed hielt den Atem an, steckte seinen Kopf ins Wasser und öffnete die Augen. Dieses Gefühl hatte er als Kind genossen, die betäubende Kälte des Quellwassers, in dem er gebadet hatte, wenn die Hitze unerträglich wurde. Zwei Tage unterwegs, zwei Tage ohne Schlaf, und jetzt ein Treffen mit dem Mann, der die ganze schauderhafte Expedition geplant hatte.
    Der Söldner trat zu ihm und legte ihm seine ungewaschene Hand auf die Schulter. »Kommen Sie jetzt, Ahmed«, sagte er leise. »Sie werden erwartet.«
    Ahmed spürte die Kraft in seinem Griff, seinen nachdrücklichen Blick. Er glättete seine Haare, so weit das möglich war, zog seine Krawatte fest und folgte ihm in das Wohnzimmer der Suite. Auf dem Couchtisch stand die Aktentasche. Ahmed wollte nicht über das nachdenken, was sich darin befand. Er hatte keine Ahnung, was das war, diese kleinen Dinger, die auf eine ihm vollkommen unbekannte Art lebendig waren. Ihr Innenleben war klar zu erkennen, das Zusammenwirken von Halbleitertechnik und organischer Materie, nur hatte er keine Idee, wozu sie
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