Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dunkle Ernte

Dunkle Ernte

Titel: Dunkle Ernte
Autoren: Simon Mockler
Vom Netzwerk:
nur kurz. Der Mann hatte ihn nicht gehört oder wollte ihn nicht hören. Im Nu war er die Treppe hinunter verschwunden. Türen schlugen. Glas splitterte. Aufgeregte Stimmen waren zu hören, dazu ein Poltern und Krachen, als würden Gegenstände zerschlagen und umgestoßen. Jack sank der Mut, doch er horchte weiter, ohne sich vom Fleck zu rühren. Der Tumult schwoll an, und klappernde Schritte näherten sich rasch.
    Ohne zu überlegen, schlüpfte er in den Wandschrank und zog die Tür bis auf einen kleinen Spalt zu, um hinausspähen zu können. In Situationen wie diesen ließ er sich von seinem Instinkt leiten. Er empfand durchaus Angst, doch die Neugier überwog. Er wollte der Gefahr ins Auge blicken, um sie verstehen und bezwingen zu können – eine Eigenschaft, die er von seinem Vater geerbt hatte.
    Zwei Männer blieben vor dem Patientenzimmer stehen. Der eine trug einen grauen Anzug und eine Brille und sah nach Wissenschaftler aus – Jack musste unwillkürlich an seinen Informatikprofessor denken. Der andere war wie ein Boxer gebaut, mit massigen Schultern und muskulösem Nacken. Sein kantiges Kinn sah aus, als könnte es einem Ziegelstein gefährlich werden. Der Mann in Grau griff in eine Aktentasche und holte einen Laborkittel heraus. Er zog ihn an, dann betraten sie den Raum, den Jack soeben erst verlassen hatte. Jack sah nicht, was passierte, aber er konnte die Schatten auf dem Fußboden verfolgen. Fließende Silhouetten, die sich bei jeder Bewegung neu formten. Ein leises Reißen, ein gezieltes Knacken von Knochen, angestrengtes Ächzen, dann kaum hörbar ein Schuss aus einer schallgedämpften Waffe. Das Ganze wiederholte sich neun Mal. Methodisch, klinisch, ohne Eile. Dann tauchten sie wieder in seinem Blickfeld auf. Der Mann im Laborkittel wischte sich seine verschmierten Hände ab und steckte ein Bündel blutgetränkten Stoffs in seine Aktentasche, vorsichtig, aber nicht vorsichtig genug. Ein rötlicher Fetzen fiel mit leisem Platschen zu Boden wie ein vollgesogenes Papiertaschentuch. Jack starrte darauf und vergaß für einen Moment seine Übelkeit.
    Auf dem schwarzweißen Fliesenkaro lag ein kleiner Fötus, kaum länger als fünf Zentimeter. Sein Kopf war fast so groß wie der Rest des Körpers, seine Gliedmaßen standen als formlose Stümpfe ab. Er zuckte alle paar Sekunden, ein dunkles Herz schlug unter der durchscheinenden, von Adern durchzogenen Haut. In seinem Kopf war ein Mikrochip zu erkennen, eine miniaturisierte elektronische Schaltung mit einer Leuchtdiode, die gleichmäßig blinkte. Wenn das Ding überhaupt menschlich war, dann nur zum Teil. Der Mann im Anzug hob es auf und packte es in seine Tasche.
    Jack zog die Tür zu, wich zurück, die Arme gegen den Bauch gepresst, und stolperte dabei fast über einen Wischmopp in einem Eimer. Sein Atem ging schnell und rau, sein Herz schlug wie wild. Er tastete nach der Wand, um sich abzustützen, verfehlte sie jedoch und fiel auf einen Stapel graue Decken. Staub wirbelte auf. In einem kindlichen Reflex zerrte er an dem dicken Stoff, um sich darunter zu verstecken. Die Erkenntnis traf ihn wie ein Fausthieb in den Magen: Ich habe auch so ein Ding in mir – was zum Teufel ist das?

2
    MI6-Zentrale, Vauxhall, London
    Die großen Füße auf seinem Chippendale-Schreibtisch, blickte Sir Clive Mortimer über die Themse, die dicht am Gebäude des MI 6 entlangfloss und in ihren Fluten zweifellos unzählige Geheimnisse und Verbrechen aus der Vergangenheit barg. Er liebte diesen Ausblick, und deshalb hatte er auch alles darangesetzt, um dieses Büro zu bekommen, als er von den Verdeckten Operationen zum Leiter der neu eingerichteten Abteilung für Cyber-Terrorismus befördert worden war – die Furcht vor einem koordinierten Großangriff auf Militärcomputer, IT -Systeme von Kraftwerken und Regierungsdatenbanken erfasste inzwischen sogar die, die sonst vor nichts und niemandem Angst hatten.
    Um das Büro zu bekommen, hatte er ein paar Kollegen über die Klinge springen lassen müssen, aber so war das eben beim Secret Service. Sein ehemaliger Chef hatte immer gesagt, es sei schwieriger, sich intern an der Spitze zu halten als Bedrohungen von außerhalb abzuwehren. Sir Clive teilte diese Ansicht nicht. Allerdings gehörte es auch zu seinen besonderen Talenten, die Ansichten anderer nicht zu teilen.
    Die Gegensprechanlage auf seinem Schreibtisch summte.
    »Sir Clive, wir haben einen Code-Rot-Ruf, Sie werden in der Operationszentrale gebraucht.«
    »Danke,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher