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Dunkle Diamanten (Shades of Brilliance) (German Edition)

Dunkle Diamanten (Shades of Brilliance) (German Edition)

Titel: Dunkle Diamanten (Shades of Brilliance) (German Edition)
Autoren: E.L. Jannings
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flache, asymmetrisch übereinander gestapelte Kuben aus Naturstein, gebrannten Ziegeln und Glas mit Terrassen und Gärten, die sich scheinbar übergangslos in der Vegetation des Kliffs auflösten. Keine Fassadenverkleidung, kein Anstrich und keine Blumenrabatten störten die herbe Harmonie der Farben. Sidestrand war ein Werk von Frank Lloyd Wright und traf den Ästheten Tom ins Herz. Es war nicht seine Art, sich in den Häusern seiner Auftraggeber außerhalb seines ausgewiesenen Arbeitsfeldes herumzutreiben. Aber heute ging er stumm vor Bewunderung über spiegelnde Hartholzböden, geflammten Granit und matt glänzenden Schiefer. Er versank in Berberteppichen und in den aufpeitschenden Farben expressionistischer Gemälde.
    Selbstvergessen ging er über einen transparenten Treppenbogen hinunter in den unteren Teil des Hauses. Am Fuß der Treppe lag ein großer Raum, der den gesamten Kubus ausfüllte. Die Veranda gab den Blick zu einem steil abfallenden Park frei, und die gegenüberliegende Wand zeigte den nackten, roh behauenen Fels, in den das Haus vorgetrieben war. Wie überall auf Sidestrand hielten sich die wenigen Möbel in Form und Farbe zurück, so dass Toms Blick ungehindert über eine erlesene Auswahl afrikanischer Masken, Statuen und Kultgegenstände wandern konnte. Wer immer dieses Haus eingerichtet haben mochte, hatte sorgfältig vermieden, seine ästhetische Kühnheit einer zeitgeistigen Dekorationsorgie zu opfern.
    Aber hier war etwas, das aus dem asketischen Gesamtkonzept fiel. Die rechte Wand des Raumes war von der Decke bis zum Boden mit einem Sammelsurium von kleinen Zeichnungen in unterschiedlichen Rahmen ausgefüllt. Ein dicker Teppich aus Karakulwolle schluckte das Geräusch seiner Schritte, als er darauf zu ging. Die fein gezeichneten Motive waren erst zu erkennen, als er unmittelbar davor stand. Es waren wissenschaftliche Zeichnungen von Diamantkristallen. Ungläubig wanderten seine Augen von Bild zu Bild. Oktaeder, Würfel, Kugeln, Kubo-Oktaeder, freie Ausbildungen – alle Erscheinungsformen des wertvollen Minerals waren auf den alten Zeichnungen akribisch festgehalten. Kristallgitter, Atomaufbau, Spaltebenen, Winkelkonstanz und Lichtbrechung – die gesamte Mineralsystematik von Diamanten war hier genauer und erschöpfender dokumentiert, als Tom es in den meisten Lehrbüchern gesehen hatte. Vor Überraschung und Verwunderung murmelte er halblaut vor sich hin, was er auf den Zeichnungen sah: „Stickstoffatome in Typ I. Anordnung der Stickstoffatome bestimmt die Farbe. Stimmt genau: zitronengelb, orange. Typ II, kein Stickstoff im Kristallgitter. Freie Formen. Muss ein echter Crack gewesen sein.” Auf einem Bild, das einen blauen Diamanten zeigte, war ein Atomgitter mit Einschlüssen des Elements Bor gezeichnet. In der Ecke unten las Tom die Jahreszahl:
    „Ich werd’ verrückt, 1931! Das hat doch damals noch kein Mensch gewusst!”
    „Mein Mann schon.”
    Tom fuhr herum. Am Fuß der Treppe stand eine hoch gewachsene Frau, mit vom Alter leicht gekrümmten Schultern. Ihr ebenmäßiges Gesicht war schön gealtert, das immer noch volle, schneeweiße Haar kurz und glatt. Sie trug eine schwarze Hose und darüber ein fein gestreiftes Männerhemd. Jayata Humphreys hatte ihn kalt erwischt.
    „Madam, bitte entschuldigen Sie. Ich bin die Treppe heruntergegangen und … es ist mir sehr peinlich, … die Zeichnungen …” Tom verhedderte sich und deutete verstört auf die Wand. Jayatas immer noch sehr grün e Augen sahen ihn forschend an.
    „Verstehen Sie etwas von Diamanten?” Sie stützte sich auf die elfenbeinerne Krücke eines schwarzen Gehstocks, durchquerte langsam den Raum und stellte sich neben Tom vor die Wand. Erleichtert, dass ihm seine Neugier nicht übel genommen wurde, sprudelte er etwas Unzusammenhängendes über sein Studium, die eben begonnene Doktorarbeit und sein Engagement bei Stardust heraus. Er wollte gerade sagen, dass das hier sein letzter Job als Kelln er war, als sie ihn unterbrach.
    „Sie machen mich neugierig. Erzählen Sie mir das im Sitzen weiter. Es gibt so wenig interessante Menschen.” Sie deutete mit dem Stock auf die Couch vor der Fensterfront und ließ sich mit der zögerlichen Bewegung der Arthritischen darauf nieder. Tom wollte ihr zu Hilfe kommen, aber sie wehrte ab. „Nein, nein, lassen Sie. Je mehr Hilfe man in meinen Jahren bekommt, desto schlechter. Bevor man sich versieht, sitzt man im Rollstuhl und wird von einer Pflegerin begluckt, die es kaum
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