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Dunkle Beruehrung

Dunkle Beruehrung

Titel: Dunkle Beruehrung
Autoren: Lynn Viehl
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Dumpfheit. »Hat er gesagt, dass er Sie liebt?«
    Min blickte zu Tags reglosem Gesicht. Natürlich war sie die größte Liebe seines Lebens gewesen. Die
einzige
Liebe seines Lebens. »Ja.«
    »Die lügen«, flüsterte Jennifer.
    Der Knall des nächsten Schusses wirkte gedämpft, doch der weiß glühende Speer, der Min durch die Brust fuhr, machte überhaupt kein Geräusch. Sie hatte das undeutliche Gefühl, rückwärts und schwerelos durch die Luft zu gleiten, und ihr Augenlicht trübte sich, während sich in ihrem Herzen eine riesige Rose mit tausend Dornen öffnete.
    Das Gesicht eines Fremden erschien über ihr, während ihr Herzschlag langsamer wurde, und er schrie etwas, doch sie konnte ihn nicht hören. Die Rose breitete sich aus und war nun unglaublich groß. Dann zog sie sich wieder zusammen, um Mins Herz zwischen ihren nassen, dunklen Blütenblättern zu ersticken.
    Ich sterbe
, dachte sie, und diese Erkenntnis bestürzte sie, ohne ihr sonderlich Angst zu machen. Tag war tot. Sie wusste, dass er auf sie warten würde – genau wie Darien. Sie wäre im Dunkeln nicht allein.
    Und dann war sie es.

1
    29. September 2008
    »Das verstehe ich nicht.« Ellen Farley griff nach den Armlehnen ihres Stuhls. »Mein Lebenslauf ist nicht frisiert, meine Zeugnisse sind echt, und ich habe die für die Stellung nötige Erfahrung. Warum also bin ich hier?«
    »Weil du dich nicht so aufregen würdest, wenn du nichts zu verbergen hättest«, murmelte Jessa Bellamy und musterte die verärgerte junge Frau durch ein Überwachungsfenster.
    »North & Co. hat Phoenix beauftragt, die Vorgeschichte aller neuen Mitarbeiter auszuloten, Ms Farley.« Caleb Douglas, der das Gespräch führte und mit dem Rücken zu Jessa saß, hatte stets die perfekte Mischung aus Autorität und Anteilnahme in der Stimme. »Sie sind hier, weil die Firma Sie einstellen möchte.«
    »Oh.« Sie lächelte, und ihre Schultern entspannten sich. Ihre puderrosa Fingernägel allerdings blieben in die Armlehnen gebohrt. »Dann habe ich den Posten also?«
    »So gut wie. Ich lasse Sie hiermit anfangen« – er gab Ellen ein Klemmbrett mit ein paar leeren Formularen – »und hole Kaffee. Möchten Sie auch einen?«
    »Nein, danke.« Sie zog einen dünnen Goldkugelschreiber aus ihrer übergroßen blauen Ledertasche und machte sich an das erste Formular. Gedankenverloren kreuzte sie die Füße unterm Stuhl, was ihre metallisch silbernen Pumps deutlicher zur Geltung brachte.
    Kaum hatte Caleb allerdings das Zimmer verlassen, legte sie das Brett auf den Tisch, stand auf und trat vor das Überwachungsfenster. Jessa wusste, dass es von Ellens Seite nur wie ein Spiegel mit reich verziertem Rahmen aussah, der hinter Cals Schreibtisch hing.
    »Gut gemacht«, sagte Jessa, als Caleb zu ihr ans Fenster trat und zusah, wie Ellen sich in Positur warf und das rote, stufig geschnittene Haar schüttelte. »Was denken Sie über sie?«
    »Die scheint mir sauber.« Er taxierte die Bewerberin. »Sie ist nicht froh, hier zu sein, aber North & Co. hat das Gespräch ganz kurzfristig angesetzt – da ist diese Reaktion normal.« Er rieb sich die Nasenspitze. »Sie riecht wie mit Chanel N°5 getauft.«
    Auch Jessa hatte schon eine Parfümwolke aufgeschnappt und an den Spruch
Viel hilft viel
gedacht. »Referenzen?«
    »Bestens, laut Angela. Ellen Farley ist die perfekte Rechnungsprüferin.« Caleb studierte Jessas Miene. »Oder auch nicht. Was stimmt Sie so misstrauisch, Chefin?«
    »Ihre Schuhe – das sind billige Imitate.«
    Cal senkte kurz den Blick. »Und?«
    Jessa zeigte auf Ellens geschmackvolles Etuikleid mit Blumenmuster. »Und man investiert nicht in ein Kleid von Michael Kors und eine Tasche von Balenciaga, wenn man nicht auch die fünfhundert Dollar für echte Anya-Hindmarch-Pumps aufbringen kann.«
    Caleb schmunzelte. »Sie sollten auf schwul umsatteln.«
    »Vielleicht im nächsten Leben. Bringen Sie sie zu mir, wenn sie die dummen Formulare ausgefüllt hat. Und Cal …« – Jessa wies mit dem Kopf auf seine leeren Hände – »… holen Sie sich einen Kaffee, bevor Sie wieder reingehen.«
    Über die Hintertreppe in ihr Büro hochzusteigen, gab Jessa Zeit zum Nachdenken. Oft nahm sie kleine, scheinbar unwichtige Details wie Ellen Farleys Pseudo-Designer-Schuhe als Grundlage für die weitere Begutachtung der von ihren Kunden geschickten Bewerber. Dadurch hatte sie sich den Ruf erworben, ein scharfes Auge zu haben, und sogar Caleb, einer ihrer zuverlässigsten Mitarbeiter, glaubte
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