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Du wirst schon noch sehen wozu es gut ist

Titel: Du wirst schon noch sehen wozu es gut ist
Autoren: Peter Cameron Stefanie Kremer
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gestoßen hatte. Während ich noch darüber nachdachte, erschien Myron Axel, der sogenannte Assistent meines Vaters, und bedeutete mir, ihm zu folgen. Myron Axel ist ein merkwürdiger Mensch. In all den Jahren, die er nun schon für meinen Vater arbeitet, hat er nie auch nur das Geringste über sein Privatleben verlauten lassen. Man könnte meinen, dies liege daran, dass Myron ein verschlossener Mensch ist, aber wenn man ihn dann kennenlernt, erscheint es doch glaubhafter, dass er überhaupt kein Privatleben hat, aus dem er etwas verlauten lassen könnte. Myron Axel ging ganz komisch vor mir her, er hielt den Oberkörper irgendwie ganz steif und bewegte nur die Füße, als wäre jegliche weitere Bewegung etwas Ungehöriges. Ich folgte ihm den langen Flur hinunter, vorbei an großen Büros mit Fenstern auf der einen Seite und kleinen, fensterlosen Büros auf der anderen. Ich glaube, ich könnte niemals in einem derart offensichtlich hierarchisch geprägten Umfeld arbeiten. Ich weiß ja, dass in dieser Welt nicht alle gleich sind, aber eine Umgebung, die diese Tatsache so deutlich werden lässt, ertrage ich einfach nicht. Das sonnendurchflutete Eckbüro meines Vaters bietet einen tollen Ausblick, und es ist mit einem Diebenkorn (dank John Webster), einem erlesenen Schreibtisch von Florence Knoll, einem Ledersofa (natürlich Le Corbusier) und einem Salzwasseraquarium ausgestattet, während Myron Axel in einer neonbeleuchteten Abstellkammer auf der anderen Seite des Gangs arbeitet.
    Mein Vater telefonierte gerade, aber er winkte mich herein.«Vielen Dank», sagte ich zu Myron, der es überhörte. Ich betrat das Büro und sah aus dem Fenster, das immer einen anderen Ausblick bietet, je nach Jahreszeit, Licht und Tageszeit. Nur dort oben, wenn ich meinen Vater im Büro besuche, wird mir bewusst, dass ich in einer großen Stadt lebe - die ganze restliche Zeit, wenn ich unten in der Stadt bin, zu ebener Erde, verschwindet dieser Eindruck irgendwie.
    «Ich weiß, dass Sie lügen, und Ihre Lügen sind dumm und vergeuden meine Zeit», sagte mein Vater.«Sie sind nicht einmal besonders interessant. Rufen Sie mich erst wieder an, wenn Sie bereit sind, vernünftig mit mir zu reden.»Er hängte den Hörer ein.
    «Hallo, James», sagte er.«Schön zu sehen, dass du Sakko und Krawatte trägst. Auch wenn es aussieht, als hättest du darin geschlafen. Ich dachte, wir könnten uns vielleicht im Partners’ Dining Room blicken lassen.»Mein Vater zieht es stets vor, in der Kanzlei zu essen, denn es geht schneller und ist billiger als in irgendeinem der Restaurants in Downtown, aber er tut immer so, als würde er das mir zuliebe machen: Als wäre es das Erlebnis, in einem Raum voller Anwälte zu essen.
    Aber ich habe meinen Vater gern, auch wenn er irgendwie albern ist und einem auf die Nerven geht. Man muss ihn einfach gernhaben: Er sieht gut aus und ist charmant. Er ist in New Bedford, Massachusetts, in einer Arbeiterfamilie groß geworden, und hat sich nie so ganz an seinen Erfolg gewöhnt. Einmal im Jahr fliegt er nach London, um sich Anzüge zu kaufen, seine Schuhe werden in Italien nach einem Gipsabdruck seines Fußes gefertigt, seine Unterwäsche kommt aus der Schweiz, und seine Hemden lässt er in Chinatown maßschneidern. All diese Extravaganzen bereiten ihm viel Freude. Er ist ein glücklicher, großzügiger Mensch.
    Er trommelte mit den Fingern auf dem Tisch und stand auf.«Gehen wir? Ich muss um zwei wieder hier sein, wegen einer Telefonkonferenz.»
    Ich ging hinter ihm aus dem Büro. Vor der Tür von Myrons Abstellkammer blieb er kurz stehen und sagte:«Wenn Dewberry anruft, fragen Sie nach einer Adresse, an die wir die Unterlagen per Kurier schicken können.»Er wartete nicht auf eine Antwort von Myron, aber das lag wohl daran, dass Myron selten antwortet. Er eilte mit energischen Schritten den Gang hinunter, und ich folgte ihm.
     
    Wir bekamen einen Tisch am Fenster, mit Blick auf New York Harbor, die Freiheitsstatue und Governors Island. Rechts von uns klaffte eine große Lücke im Himmel, und wir konnten einen Teil von New Jersey und den Hudson River sehen, was beides früher verdeckt gewesen war. Ich versuchte, nicht in diese Richtung zu schauen.
    «Hast du was von Mom gehört?», fragte ich.
    «Nein», sagte er.«Warum sollte ich was von deiner Mutter hören? Ist sie nicht auf einer ihrer Hochzeitsreisen?»Mein Vater pflegt gern anzudeuten, dass meine Mutter oft und voreilig heiraten würde, dabei hat sie erst dreimal
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