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Du stirbst nicht: Roman (German Edition)

Du stirbst nicht: Roman (German Edition)

Titel: Du stirbst nicht: Roman (German Edition)
Autoren: Kathrin Schmidt
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Sonnenstudio geht. Er führt das auf arabische Vorfahren zurück, die es in seiner Familie mütterlicherseits vor vielen Generationen gegeben haben soll. Nichts Genaues weiß man nicht, aber die Saga hält sich. Seine Mutter hieß mit Mädchennamen Makaffreh, und ein Bezug zu den ungläubigen Kaffern war schnell hergestellt. Helene findet zwar, dass die Namensähnlichkeit mit den irischen McCaffreys eher auf der Hand liegt, war aber damit auf taube Ohren gestoßen … Raphael kämpft mit Tapferkeit gegen immer wiederkehrende Depressionen, und dass er es geschafft hat, von seinem für Berliner Verhältnisse abgelegenen Wohnort ohne Auto bis hierher zu zuckeln, nötigt Helene alle Achtung ab. Das sagt sie auch.
Raphael druckst.
Warum druckst du, Raphael?
Ich werde weggehen aus Deutschland, nach Schweden.
Raphael erzählt, bei seinem Sommerurlaub in Schweden Lina kennengelernt zu haben. Was dann kommt, erinnert Helene sehr an die Geschichte mit Maljutka, von der sie Raphael nichts erzählt hat. (Raphael ist mit Matthes ebenso befreundet wie mit ihr, Loyalitätskonflikten sollte er nicht ausgesetzt sein.) Lina sei Meeresbiologin und arbeite an der Universität Lund. Erst auf den dritten oder vierten Blick sei sie ihm aufgefallen, als er schon eine Woche lang im Häuschen neben ihrem mit seiner Enkelin Urlaub gemacht hatte. Dann aber sei mit einiger Gewalt das Undenkbare passiert: Er habe sich heillos verliebt, vier lange Monate sei das nun her, Briefe und Wochenendbesuche hätten einander abgelöst, und immer hätte er mit Helene teilen, ihr mitteilen wollen, was da im Busche war, aber Helene hätte sich ja unterdessen verabschiedet. Zum Glück sei sie nun wieder aufgetaucht, aber jetzt sei gar keine Zeit mehr, um Rat zu fragen, um Beistand zu bitten, denn er hätte sich einfach entschieden, nach Lund zu ziehen. Probehalber. Seine Wohnung wolle er noch behalten vorerst. Er sieht Helene irgendwie verschüchtert an, als könnte es ausgerechnet Helene nicht passen, dass er dem Glück eine Falle stellte. Der will das aber außerordentlich passen, damit hatte sie ja nun überhaupt nicht gerechnet! Raphael unter der Haube, in festen Händen! Jetzt fällt ihr ein, dass sie vermutlich nie mehr wird tanzen können. Jetzt hätte sie eben gern mit Raphael getanzt. Ein Walzertyp ist sie, Raphael bevorzugt Tango. Wahrscheinlich wären sie ohnehin nur schwer übereingekommen, aber schade ist es doch. Gehen wir Kaffee trinken?
Sie gehen. Raphael schiebt Helenes Rollstuhl, hat schon von Matthes erfahren, dass der wieder angesagt ist. Er ist eben doch ein Betuttler, es tut ihm gut, unentbehrlich zu sein.
In der Cafeteria herrscht reger Besuchsbetrieb, es wird schwer, ein Plätzchen zu finden, sodass Raphael den Cappuccino und die Schokolade mit hinausnimmt, in den Garten. Gartenwetter? Eigentlich nicht, aber Helene hat eine Decke ins Rollstuhlnetz gepackt, und wenn man die um die Knie legt, mag es gehen.
Raphael hört nicht auf, von Lina zu schwärmen. Von Maljutka zu schwärmen, fiele Helene nicht ein.
Ein Schwarm … Warum ist ihr dieses warme Wort zu Maljutka nie eingefallen?
Raphaels Augen, sonst Asyle unendlicher Müdigkeit, zeigen heute einen versunkenen Glanz, den man nicht sofort wahrnimmt, der sich aber offenbart, wenn sein Blick umschwenkt. Sein Blick schwenkt ziemlich oft um, es ist, als wollte er die Leute teilhaben lassen an seiner Glückserzählung. Tatsächlich spricht er immer ein wenig lauter, als es guttut, Helene merkt es und rückt ein Stück ab, damit die Erzählspitzen sie nicht in die Ohren stechen. Hier draußen im Garten ist die Wahrscheinlichkeit, irgendjemand könnte Anteil nehmen an Raphaels Freude, allerdings sehr gering, der Wind schluckt den Ton, und die wenigen Menschen, die sich an die verstreut stehenden Tische gesetzt haben, sind mit sich selbst ausreichend beschäftigt. Helene lässt ihn sprechen, er wird den Anflug eines schlechten Gewissens nicht bemerken, das sich ein-, zweimal zeigt, weil Helene auf und davon geht, fort vom Linaschwarm. Plötzlich nimmt sie ein neues, unbekanntes Ziehen im Kopf wahr, eigentlich sitzt es genau an der Stelle, an der sie den Titanclip verortet, sie muss an einen seltsam schmerzfreien Wadenkrampf denken, der sich nach oben verlagert hat, ins Hirn. Es heilt, denkt sie begütigend, es heilt … Womöglich spürt sie die Absorption des ausgetretenen Restblutes, stellt sie sich vor, oder der Clip wird nun merklich von Gewebe umsponnen, das sich seiner Kontur anpasst, jeden
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