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Du stirbst nicht: Roman (German Edition)

Du stirbst nicht: Roman (German Edition)

Titel: Du stirbst nicht: Roman (German Edition)
Autoren: Kathrin Schmidt
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hinlegen soll, es ist schön, so zu fahren. Sie hat etwas im Mund. Sie kann den Mund gar nicht schließen. Sie möchte die Frau fragen, was sie da in ihrem Mund stecken sieht, aber die Frau nimmt ihren Arm und schließt ihn an einen Schlauch. Ein Netz? Durch das sie fremdgesteuert wird? Himmel, die Angst. Sie möchte sich wehren, aber das Auge klappt zu.

Die Schädelplatte wird abgenommen. Vorsichtig entnimmt ein Roboter eine blutrote Fleischscheibe. Ersatz muss her. Also will der Roboter eine wunderschöne, lichtblaue Steinscheibe einlegen. Wie hieß der Stein doch gleich? Es will ihr nicht einfallen. Ihre Tochter hat so eine Steinscheibe, hat sie als Fälschung bezeichnet, weil sie eingefärbt ist. Aha, dann muss das hier etwas anderes sein. Der Roboter wird ihr ja keine Fälschung in den Kopf packen wollen! Als die Steinscheibe drin ist, wird wieder dunkler, was bis dahin unangenehm hell war. Schummerstündchen. Sie sieht gerade noch ein dünnes, langes, bewegliches Plastikrohr über sich. Wo geht es hin, wo kommt es her? Schade, dass sie den Kopf nicht bewegen kann, sie kann das Rohr einfach nicht verfolgen. Dunkle, braunrote Flüssigkeit bewegt sich darin vorwärts, kollernde Tropfen.

Seit einiger Zeit wirtschaftet eine laute junge Frau um sie herum. Sie redet ununterbrochen. Mit wem redet sie nur so viel? Ist hier noch jemand? Sie kann doch den Kopf nicht drehen, stimmt ja … Nun muss sie die Augen aber wirklich aufmachen, denn irgendetwas verändert sich, sie wird aufgerichtet, angehoben, hingesetzt. Ihr wird schlecht. Da muss sie wohl etwas ganz Komisches gegessen haben.
Der Wortschwall der Frau kommt immer näher.
… Hören Sie mich, Helene? Na ja, ist schwer zu sagen, was? Auf jeden Fall müssen wir bald beginnen, Sie öfter in die Senkrechte zu manövrieren. Das war der erste Versuch heute, hören Sie? Hören Sie? Ich glaube, sie hört …
War das zu ihr gesprochen? Sie weiß es nicht. Möchte schlafen. Ist geschafft.
Dass sie Helene heißt, glaubt sie merkwürdigerweise.

Was hält der Mann da in der Hand? Sieht aus wie ihr Herzschrittmacher. Tatsächlich, er hält ihr den Herzschrittmacher vor die Nase und sagt, dass sie ihn endlich gefunden und herausgenommen haben. Warum nehmen die ihr denn den Herzschrittmacher ab? Sie bringt die Frage nicht heraus. Der Mann lacht sich eins, er lacht sich ins Fäustchen, er hat sie in der Hand, ihren Herzschlag. Sie muss sich wehren, nur nicht einschlafen. Bestimmt wird nachts eingeheizt, ja, gestern war es doch schon so heiß nachts, dass sie dachte, es brennt. Bestimmt haben sie ihr den Herzschrittmacher deshalb abgenommen, weil sie als Einzige noch am Leben ist und sie sich darüber gewundert haben!
Wer so einen Herzschrittmacher hat, dessen Herz schlägt und schlägt, selbst wenn der Körper schon hinüber ist. So freundlich lächeln sie dich alle an hier, dabei ist es ein Mörderverein, umbringen wollen sie dich wie all die anderen, sie muss das unbedingt ihrem Mann sagen. Er wird doch hoffentlich noch vor der Nacht kommen. Wo ist sie eigentlich? Ganz schön lange hält sie die Augen nun schon geöffnet, aber wo sie ist, will ihr einfach nicht aufgehen.

Das sind doch schon wieder ihre Eltern! Sie möchte sich aufsetzen, fragen, wer geheiratet hat. Warum hast du eine kalte rechte Hand, Mama ? Es geht nicht. Aufsetzen nicht und fragen nicht.
Zusammennehmen.
Mund zupressen. Augen öffnen.
Wirklich, es sind ihre Eltern! Ihr Vater sieht aus wie damals, als ihre Schwester mit dem Roller den Geißenberg hinuntergefahren war. Wie lange ist das jetzt her? Sie rechnet. Haben wir 2002 ? Die Schwester ist 1961 geboren und war etwa sechs Jahre alt bei der Rollertour. Also 1967 . Das ergibt fünfunddreißig Jahre. So lange! Warum hat sie sich gemerkt, wie der Vater aussah? Vati, sei nicht traurig!, hat sie damals geflüstert, und er hat sie gedrückt und vor Freude geweint, als der Arzt ihnen die Schwester wieder mitgegeben hatte nach Hause. Nein, sie wollten sie nicht im Krankenhaus behalten.
Im Krankenhaus? Das Haus, in dem sie sich aufhält, könnte doch auch …
Die Mutter unterbricht sie. Fragt die Frau neben ihr, wann sie wieder etwas essen kann. Typisch, essen interessiert sie immer. Sie hat doch keinen Hunger!
Das dauert noch , sagt die Frau. Vorläufig wird sie über die Sonde versorgt, sehen Sie?
Über die Sonde, siehst du. Zufrieden schließt sie die Augen.

Ein junger Mann links, einer rechts. Sie schauen sie an, kommen ihr bekannt vor, sie will ihnen jedoch
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