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Du findest mich am Ende der Welt

Du findest mich am Ende der Welt

Titel: Du findest mich am Ende der Welt
Autoren: Nicolas Barreau
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hatte ein Einsehen und
schickte den schwarzgekleideten Kellner, der uns fragte, ob wir noch einen
Wunsch hätten.
    Dankbar bestellte ich le dessert , der sich
als Crème brulée entpuppte, und zwang mich, Monsieur Tang, der mit dem ihm
eigenen chinesischen Familiensinn verständnisvoll nickte, ein paar Fragen zu
stellen.
    Während ich mit ein paar »Aaahs«
und »Ooohs« Interesse an seinen Ausführungen zur Tulpenmanie im Holland des
siebzehnten Jahrhunderts heuchelte (wie war er auf dieses Thema gekommen?),
kreisten meine Gedanken um die Identität der schönen Briefeschreiberin.
    Es mußte eine Frau sein, die ich kannte. Oder doch zumindest eine,
die mich kannte. Aber in welchem Zusammenhang?
    Es mag unbescheiden klingen, aber mein Leben ist voller Frauen. Man
begegnet ihnen praktisch überall. Man flirtet mit ihnen, diskutiert mit ihnen,
arbeitet mit ihnen, lacht mit ihnen, verbringt viele Stunden im Café mit ihnen,
und dann und wann, wenn mehr daraus wird, auch die Nächte.
    Dieser Brief jedoch bot so gar keine konkreten Anhaltspunkte, aus
denen ich hätte schließen können, wer die kapriziöse Verfasserin war. Und
kapriziös war sie, so viel hatte ich begriffen.
    Ganz unten auf der Rückseite des Briefes hatte ich eben eine
E-Mail-Adresse entdeckt: [email protected].
    Alles äußerst rätselhaft. Die Geheimniskrämerei der Principessa
machte mich auf sonderbare Weise wütend, dann wieder kamen mir all ihre
wunderbaren Worte in den Sinn, und ich war bezaubert.
    Â»Monsieur Champollion, Sie sind nicht bei der Sache«, rügte mich
Tang freundlich. »Ich habe Sie gerade gefragt, was Soleil Chabon macht, und Sie
antworten ›Hmm … ja, ja‹.«
    Himmel, ich mußte mich endlich zusammenreißen!
    Â»Ja … ich … äh … Kopfschmerzen«, stotterte ich und faßte mir an die
Stirn. »Dieses Wetter macht mir zu schaffen.«
    Draußen schien eine milde Maisonne, und die Luft war klar wie selten
in Paris.
    Tang zog die Augenbrauen hoch, untersagte sich aber höflich jeden
Kommentar. »Und Soleil? – Sie wissen doch, diese junge karibische Malerin«,
setzte er erklärend hinzu, offenbar hatte er kein großes Vertrauen mehr in
meine kombinatorischen Fähigkeiten.
    Â»Aaah – Soleil!« Ich lachte ein wenig gequält, als mir einfiel, daß
ich versprochen hatte, heute noch (heute noch?!) bei meiner liebeskranken
Schwarzmalerin vorbeizuschauen. »Soleil … erlebt gerade ihren schöpferischen
Urknall«, erklärte ich und fand, daß das in Anbetracht ihrer explosiven
Verfassung gar nicht mal gelogen war. »Im Juni macht sie ihre zweite
Ausstellung, Sie kommen doch auch, oder?«
    Tang nickte lächelnd, und ich bestellte die Rechnung.
    Nach einem anstrengenden Nachmittag in den Räumen der Galerie
du Sud, wo uns Marion und Cézanne freudig begüßten und mein Chinese sich mit
unbeirrbarem Lächeln alle neuen Bilder zeigen ließ, wobei seine Kommentare von
» tlès intelessant « bis » supelbon « reichten, zog er endlich mit ein paar Prospekten und seinem
kleinen silbernen Rollkoffer ins Hôtel des Marronniers ab, einem charmanten,
kleinen Hotel, das praktischerweise in der Rue Jacob, also gleich bei mir um
die Ecke liegt und das Europäer wie Asiaten gleichermaßen begeistert.
    Die
Lage ist unbezahlbar. Ruhig, im Herzen von Saint-Germain, mit einem Innenhof,
der mit duftenden Rosen bewachsen ist und in dessen Mitte ein alter Brunnen
leise plätschert. In dieser Jahreszeit das Nonplusultra für romantisch
veranlagte Menschen, die vom vierten Stock aus sogar auch noch den Blick auf
die Kirchturmspitze von St-Germain-des-Prés haben können. Nur sollten sie nicht
zu groß gewachsen sein.
    Die Zimmer haben stoffbespannte Wände, antike Möbel – und sie sind
klaustrophobisch klein. Nichts für den Durchschnittsamerikaner aus dem Mittleren
Westen also, denn bei einer Körperlänge von über einem Meter achtzig ist der
Liegekomfort erheblich eingeschränkt.
    Da ich kein Hüne von Mann bin, betrifft mich dieses Problem nicht
persönlich, doch ich habe vor Jahren einmal den Fehler begangen, Jane Hirstman
und Bob, ihren neuen Zwei-Meter-Mann und Lebensgefährten, im Marronniers
einzuquartieren. Noch heute ist Bob, der normalerweise allein ein Kingsize-Bett
ausfüllen kann, traumatisiert von seinem » romantic desaster
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