Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Du denkst, du weißt, wer ich bin

Du denkst, du weißt, wer ich bin

Titel: Du denkst, du weißt, wer ich bin
Autoren: E Bailey
Vom Netzwerk:
meinem Kopf geformt, war ich wie besessen davon. Ich nehme an, es hatte damit zu tun, an etwas anderes denken zu können als an das Chaos, in dem sich mein Leben gerade befand. Ich ersteigerte ein paar opulente rote Samtvorhänge und nagelte sie so an die Decke und die Wände, dass sie die Form eines Zeltes bildeten. Ich stellte mein Bett in die Mitte und verteilte jede Menge Kissen im ganzen Zimmer. Außerdem rollte ich noch einen persischen Teppich aus dem Flur in meinem Reich aus. Meinen Magic-8Ball legte ich oben auf das uralte, aber noch hervorragende kleine Sofa, das ich bei Nachbarn im Sperrmüll gefunden hatte.
    Als ich an diesem Nachmittag nach Hause fuhr, konzentrierte ich mich darauf, wie gut ich mich fühlen würde, wenn ich erst in meinem Zimmer wäre, die Vorhänge hinter mir zugezogen. Allein der Gedanke daran ließ meine Füße schneller in die Pedale treten.
    Dad hat unser Heim immer ein verwittertes Holzhaus genannt, diese Art schlechter Scherze, für die er bekannt war, und über die Mum tatsächlich jedes Mal lachte. Zuerst jedenfalls. Die Sache war, dass keiner von beiden es wirklich ernst meinte – der erbärmliche Zustand unseres Hauses war eins der Dinge, die sie beide tatsächlich am meisten daran mochten. Den größten Schaden hatte der Wind verursacht, der von der Bucht zu uns heraufwehte, und für Mum hat Seeluft etwas Magisches. Wenn die Seeluft meinte, wir kämen mit weniger Dachschindeln aus, dann sollte es so sein. Die andere Sache, über die Dad seine Scherze riss, war unser – wie er es nannte – Freilandgarten, mit anderen Worten: das Unkrautparadies. Ich könnte schwören, dass alles Grünzeug, das aus anderen Gärten vertrieben wurde, in unserem auftauchte. Jedes Mal, wenn wir ein Barbecue veranstalten wollten, musste Dad uns erst den Weg bis zum Grill freimähen. Er hob die Gegenstände, die er auf dem Weg zutage gefördert hatte – Eimer, Schuhe –, auf und tat so, als wären sie gerade gehobene Schätze. Als er auszog, nahm er diese Scherzartikel mit, ließ aber den Rasenmäher und den Grill da. Das Gras wurde trotzdem länger und länger.
    Als ich unsere knarrenden Stufen hochging, flog die Haustür auf, und zwei erwartungsvolle Gesichter grüßten mich.
    »Du bist zu Hause!«, rief Toby. Er grinste, sah aber blass aus. Blasser als gewöhnlich, wohlgemerkt.
    Mum strich ihm übers Haar. »Tobes kam um die Mittagszeit nach Hause«, sagte sie. Ihre Stimme war heiter, aber ich hörte ihre Sorge heraus, die wie eine Kontrolllampe flackerte. Dann quetschte sich ein dritter Kopf zwischen Mum und Toby und begann, mir begeistert die Hand zu lecken.
    »Hi, Ralphy«, sagte ich und kraulte ihn.
    »Wie wär’s, wenn ihr drei noch eine Weile draußen bleiben würdet?«, sagte Mum. »Gegen Mittag kam noch ein Stapel Bestellungen herein. Ich würde sie gern fertigmachen.« Sie arbeitete für ein Reformhaus und verkaufte Vitamine übers Internet.
    Ich konnte die Tür zu meinem Zimmer sehen. Hinter der Tür befand sich, Frieden verheißend, mein Wahrsagerzelt.
    Dann guckte ich wieder Toby und Mum an. Du schuldest es ihnen , erinnerte ich mich. Total .
    »Kein Problem«, sagte ich und schleuderte meine Tasche in die Ecke. Es war wohl am besten, wenn Mum nichts von den Kopfschmerzen erfahren würde. Ich fühlte mich sowieso etwas besser, jetzt zu Hause.
    »Mum hat eine Wassermelone gekauft«, sagte Toby. »Willst du mir helfen, sie zu killen?«
    Ich verdrehte die Augen. »Was für eine Frage. Geh und hol unsere Schwerter. Wir treffen uns hinten.«
    »Wie cool!«, rief Toby und rannte los. Ralph galoppierte hinter ihm her und vollführte seinen fröhlichen Hundetanz.
    Ich schüttelte den Kopf. »Kann man an einer doppelten Dosis Vorfreude sterben?«
    Mum lachte. »Du warst mit sieben genauso«, sagte sie. »Wenn nicht schlimmer. Ich habe mich immer winselnd auf der Couch verkrochen und gebetet, dass wir beide überleben würden, bis dein Dad nach Hause kam.«
    Sie lächelte dieses zerbrechliche Lächeln. Die Sorte, die ich hasste, denn es bedeutete, dass sie an das Leben dachte, das wir einmal gehabt hatten. Das Leben, das ich zerstört hatte. Ihre Augen schimmerten. Ich umarmte sie – heftig und eng. Ich wollte die Trauer und Sorgen aus ihr herausquetschen. Oder die Schuld aus mir selbst.
    »Weißt du«, sagte ich. »Ami sagt, es wird leichter.«
    Sofort versteifte sich Mum.
    Normalerweise vermied ich es, Ami zu erwähnen. Über sie zu sprechen, schien immer zu noch mehr Sorgen und Ärger
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher