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Du denkst, du weißt, wer ich bin

Du denkst, du weißt, wer ich bin

Titel: Du denkst, du weißt, wer ich bin
Autoren: E Bailey
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meiner Sorge um Dallas lag.
    Ohne zu antworten, begann Miranda die Treppe hochzuklettern. Ich sah sie klettern und spürte, wie die kalte Luft vom Dachboden eindrang und mich umgab.
    Da gab es etwas, das mich oft an Gruselfilmen quälte, nämlich wie dämlich die Opfer immer waren, und dass sie sich nie auf ihre Instinkte zu verlassen schienen. Sie sagen zwar manchmal Ich habe hier gar kein gutes Gefühl , während sie herumeiern, ob sie die Kellertür aufmachen sollen. Wenn wir solche Filme im Mercury zeigten, rief immer mal einer im Publikum eine Warnung. Aber natürlich öffneten diese Gestalten immer die Tür oder drückten den entsprechenden Knopf.
    Wenn mich jemand gesehen hätte, wie ich am Fuße der Leiter gezögert habe, hätte er geschrien: »Tu’s nicht!«
    Aber natürlich tat ich es.
    Der Dachboden war der einzige Ort in Oonas Haus, der nicht nach Desinfektionsmitteln roch, und nachdem sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah ich auch, warum. Die beiden kleinen Dachfenster – die einzigen Fenster im ganzen Haus ohne Gitter – standen offen. Eine Brise wehte herein, und ich konnte die Seeluft riechen, vermischt mit einem Hauch Chlor aus dem Pool unten im Garten. Miranda stand vor einem der Fenster, eine dunkle, unbewegliche Silhouette. Kann man Finsternis ausstrahlen? Sie konnte es anscheinend. Es gab eine Pause. Und dann verschwand die dunkle Gestalt durch den Fensterrahmen.
    »Miranda?«, rief ich und bewegte mich, so schnell ich konnte, über den unebenen Boden, kletterte über die Dachbalken und um zusammengeklebte Umzugskisten herum. Ich fühlte mich wackelig und benebelt. Als ich zum Fenster kam, sah ich hinab. Da war der Swimmingpool, der da ganz tief unten glitzerte. Aber ich konnte Miranda nicht sehen. Es kam ein Geräusch vom Dach, von links. Zusammengekauert, nahe der Kante, sah ich eine dunkle Gestalt.
    »Schräger Platz für ein Telefon«, murmelte ich.
    »Wir müssen reden«, sagte Miranda. »Du bist plötzlich so fremd, Olive. Herzlos.«
    Ich war herzlos? Dallas lag bewusstlos auf dem Boden in ihrem Zimmer, und es ging ihr am Arsch vorbei.
    »Ich habe keine Lust zu reden«, entgegnete ich. Die Bodendielen knarzten unter meinen Füßen, und vielleicht dachte Miranda, ich würde weggehen, denn ganz plötzlich zog sie etwas aus ihrer Tasche. Ihr Handy.
    »Hier«, sagte sie und hielt es hoch. »Ich habe es hier. Komm zu mir – nur ganz kurz. Da ist etwas, das ich dir zeigen will. Danach kannst du tausend Rettungswagen anrufen und auch sonst noch, wen du möchtest.«
    Der Dunst des Swimmingpools waberte hoch. Weit in der Ferne hörte ich Autos. Ich könnte einfach auf die Straße laufen , dachte ich. Jemanden anhalten. Aber das würde bedeuten, Dallas hier mit Miranda allein zu lassen, und das konnte ich nicht tun. Ich sah sie wieder an, wie sie da auf dem Dach saß, die Hand ausgestreckt. Und wenn ich vielleicht nur einen kurzen Moment hinausginge? Und dann würde ich das Handy nehmen. Es war ja nicht so, als hätten ihre Worte noch irgendeinen Einfluss auf mich.
    Das war es, was ich damals dachte. Ich weiß, es klingt beknackt.
    »Okay, okay«, murmelte ich. »Ich komme.« Der Zombie-Saft rumpelte und wütete in meinem Magen.
    Ich kletterte aus dem engen Fenster und direkt in das Orchester der Nachtgeräusche. Das Summen und Zirpen der Insekten. Das Meer. Der Verkehr in der Ferne. Das lauteste Geräusch von allen war mein eigener Atem. Jetzt nur nicht runtersehen. Als ich es auf das Dach geschafft hatte, rutschte ich auf dem Hintern über die abschüssige Oberfläche, Zentimeter für Zentimeter. Miranda war nur noch einen Meter entfernt, aber es schien eine Ewigkeit zu dauern, sie zu erreichen.
    Schließlich hielt ich an, keuchend und schwitzend, in einer Entfernung, die ich für sicher hielt.
    »Was wolltest du mir zeigen?«
    Miranda hatte das Handy hingelegt, und zwar auf ihre andere, mir abgewandte Seite. Sie deutete in die Nacht hinaus. »Das da«, sagte sie. »Die ganze Dunkelheit, die sich ohne Grenzen ausdehnt. Fühlst du dich da nicht klein? Wie ein unbedeutender kleiner Fleck?«
    »Es ist gar nicht so dunkel«, sagte ich, zum Teil weil ich Miranda unbedingt widersprechen wollte, aber auch, weil es stimmte. Vielleicht schien es zuerst dunkel, aber wenn man ein bisschen wartete, konnte man nach und nach die verschiedenen Dinge bemerken. Die Sterne. Den Mond. Die Lichter über der Stadt. Scheinwerfer auf dem Weg den Hügel hoch. Je länger ich dort saß, desto mehr
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