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Du bist zu schnell

Titel: Du bist zu schnell
Autoren: Zoran Drvenkar
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zurück.
    -Was?
    -    Sind zurück, verstehst du?
    -Was?
    Von Hamburg nach Oldenburg sind es vielleicht zwei Stunden. Ich brauchte eine Weile, bis ich begriff, daß mich meine guten Freunde vergessen hatten. Mensch, war ich wütend. Asta kam ans Telefon und konnte vor Lachen kaum reden.
    —Was machst du in Hamburg? brachte er schließlich hervor.
    -    HOL MICH HIER RAUS! schrie ich ihn an.
    Asta reichte den Hörer an Fabienne weiter, die verstand natürlich kein Wort, quasselte irgend etwas Französisches vor sich hin und fing an zu heulen, weil ich sie ankeifte, sie sollte Asta wieder ans Telefon holen. Da mußte ich heulen und legte auf und drehte mir noch einen, um mich zu beruhigen. Ein Mann wollte in die Telefonzelle. Er stand für eine Weile einfach nur vor der Tür, während ich den Griff festhielt und meinen Joint wegpaffte. Der Mann hätte durch das fehlende Glas steigen können, aber auf die Idee kam er nicht. Nach ein paar Minuten zog er ab, und ich rief ein zweites Mal bei Julian durch. Es war besetzt.
    Ich versuchte es die nächste Stunde an die hundert Mal. Nichts. Später erfuhr ich, daß Fabienne den Hörer vor lauter Panik nicht aufgelegt hatte.
    Ich begann durch Hamburg zu irren, kaufte an einem Kiosk Tabak und Blättchen und nahm Kurs auf die U-Bahn. Ich wollte zum Hauptbahnhof und den ersten Zug nach Oldenburg nehmen. Wenn ich Glück hatte, würden mich Asta oder Jenni abholen.
    Ich fuhr mit der Rolltreppe nach unten, die Lichter um mich herum waren grell, und es stank nach Bier und Urin. Unter einer Plakatwand saß ein Mann auf dem Boden. Er spielte Gitarre und sang dazu russische Lieder. Vor seinen Füßen lagen in einem Hut ein paar Münzen und eine graue
    Taubenfeder. Ich wollte ihm einen Joint reinwerfen, nur um sein überraschtes Gesicht zu sehen, dann dachte ich aber, das ist doch Verschwendung und zündete ihn mir lieber selber an.
    So stand ich neben dem Fahrscheinautomaten und sah den Bahnsteig hinunter. Da warteten vielleicht zwanzig Leute. Der Hund eines Mädchens riß an seiner Leine, weil er sich einen Hund auf dem gegenüberliegenden Gleis schnappen wollte. Ich rauchte den Joint auf, schnippte ihn weg und schloß für einen Moment die Augen. Ich war müde, richtig müde und wollte nur noch nach Hause und mich ausschla-fen.
    Irgendwann da muß es passiert sein.
    Erst hörte ich die Gitarrenmusik hinter mir, als würde jemand die Töne strecken. Die Melodie wurde langsamer und langsamer, bis sie meine Ohren wie zähe Flüssigkeit füllte. Ich öffnete die Augen und sah die U-Bahn einfahren, als würde sie auf Zeitlupe laufen. Auch auf dem Bahnsteig passierte es. Die Leute bewegten sich merkwürdig träge. Dann stand die U-Bahn still, die Türen glitten auf, und Leute stiegen aus. Es war, als würde man sie alle langsam aus einer Tube quetschen. Als wären sie zerbrechlich und über hundert Jahre alt und müßten vorsichtige Schritte machen, weil sonst ihre Knochen brachen.
    Mir wurde schwindlig von dieser Langsamkeit. Ich lehnte mich gegen den Fahrscheinautomaten und spürte kalten Schweiß unter den Achseln. Das war der Moment, in dem ich sie sah. Zwischen all den träge vor sich hinschleichenden Leuten bewegten sich Männer und Frauen ganz normal. Sie stiegen aus, stiegen ein, verschwanden in der Menge, setzten sich auf die freien Plätze in der U-Bahn und ignorierten die Zeitlupe. Sie gehörten dazu und dann doch nicht.
    Ich lachte los. Es ging nicht anders, es war so witzig.
    Ein Mann sah zu mir rüber. Er war einer von den Schnellen. Er legte den Kopf schräg und sah mich an. Ich hielt mir hastig die Hand vor den Mund und hörte auf zu lachen. Der Mann nickte mir zu und stieg in die U-Bahn. Mehr weiß ich nicht.
    Als ich das nächste Mal die Augen öffnete, lag ich auf dem Boden, und der Musiker fummelte an meinem Rucksack herum.
    —    He! rief ich.
    Der Typ sprang zurück, schnappte sich Gitarre und Hut und verschwand über den Bahnsteig. Zwei Wachleute fragten mich, ob ich Hilfe bräuchte. Ich schüttelte den Kopf und kam auf die Beine. Mir war heiß, und als ich stand, spürte ich das Blut in meinen Schläfen pochen. Ich brauchte dringend frische Luft.
    Oben erwartete mich eine andere Stadt. Für Sekunden stand ich fassungslos da. Alles wirkte so frisch, als hätte ein Sommerregen den Dreck von den Fassaden weggewaschen und den Häusern einen neuen Anstrich verpaßt. Nicht nur das hatte sich verändert — auch die Langsamkeit war verschwunden. Alles lief im
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