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Du bist zu schnell

Titel: Du bist zu schnell
Autoren: Zoran Drvenkar
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würde mich beschuldigen, ihr hinterherzuschnüffeln. Auf keinen Fall wollte ich ihr das Gefühl geben, mißtrauisch zu sein. Am liebsten wäre es mir gewesen, sie hätte das Problem von sich aus angesprochen. Wir verstanden uns gut, es gab keine Reibungen. Seit der einen Nacht schien es uns sogar besser zu gehen. Ich hatte keine Ahnung, wie ich an sie herankommen sollte.
    Also hielt ich den Mund und versuchte herauszufmden, was Val mit Hilfe der Pillen ausbalancieren wollte. Denn - so sah ich es - Val nahm diese Medikamente, um ein Gleichgewicht in sich zu schaffen. Die Frage war, was das Gleichgewicht gestört haben konnte.
    Es muß meine romantische Ader gewesen sein, die mich so denken ließ. Das und der Wunsch, daß Val die richtige Frau für mich ist und von mir gerettet werden muß.
    Zwei Tage später stahl ich aus dem Kosmetiktäschchen zwei Pillen und schluckte sie mit einem Glas Wasser. Am selben Tag verstand ich ein wenig, warum Val war, wie sie war, und stellte sie zur Rede.

    Val zieht die Beine an und legt ihren Kopf in meinen Schoß. Nachdem ich meinen Sitz etwas zurückgeschoben habe, ist es auch für mich bequem. Sie hat nicht gefragt, wohin wir unterwegs sind; und ich denke nicht daran, es ihr zu erzählen. Wir bewegen uns geschickt aneinander vorbei.
    In solchen Momenten der Ruhe wünsche ich mir einfach nur weiterzufahren. Ich will nicht, daß es hell wird, ich will nicht, daß die Autobahn endet oder Val erwacht. Ein Tank, der sich nicht leert, ein Mond, der nie verschwindet.
    Ich streiche über Vals Kopf, spüre ihre tiefen Atemzüge durch den Stoff meiner Jeans. Noch vor einem Monat wäre ich an den Straßenrand gefahren, oder Val hätte meine Hose während der Fahrt aufgeknöpft.
    Ich wische mir über die Augen und wechsle die CD. Eels, Souljacker — passender geht es nicht. Ich schaue kurz nach rechts, wo sich die fahlen Lichter einer Stadt aus der Dunkelheit schälen. Braunschweig zieht vorbei, die Eels singen That’s the last time I cry, und Berlin kommt viel zu schnell näher.

2

    Es ist vier Uhr morgens, als ich auf einem markierten Behindertenparkplatz halte und den Motor laufen lasse. Berlin scheint ausgestorben zu sein. Weiter vorne warten drei Taxen an einer Haltesäule, kein Fußgänger ist zu sehen. Die Ampel an der Kreuzung steht auf Rot.
    Val bewegt sich unruhig im Schlaf. Ihr Kopf liegt noch immer auf meinem Schoß, er ist warm und schwer. Als ich ihr über den Rücken streichle, spüre ich ihre Schulterblätter. Val muß in den letzten Tagen wenig gegessen haben, ich kann jede einzelne Rippe fühlen.
    Ich sehe auf die Ampel und warte, daß sie umschaltet. Zehn Minuten vergehen, die Ampel bleibt auf Rot, ich warte weiter. Einige Meter entfernt hängt ein Straßenplan hinter einer beleuchteten Glasscheibe. Ich will nicht aussteigen und ihn mir ansehen. Ich will die Augen schließen, und wenn ich erwache, sind wir wieder bei Val in der Wohnung, und nichts hat sich verändert. Das Licht am Morgen, der Geruch von Schlaf.
    Vorsichtig schiebe ich Val auf ihren Sitz zurück. Ich erwarte, daß sie erwacht, doch sie schläft weiter.
    Draußen ist es weit unter null Grad, die Straße und der Bürgersteig haben diese trockene Härte, die es nur im Winter gibt. Es fehlt Schnee, mit Schnee läßt sich die Kälte ertragen. Ich ziehe die Schultern hoch und schiebe die Hände tief in die Hosentaschen. Das vorderste Taxi verläßt beinahe lautlos die Haltestelle und überquert die Kreuzung bei Rot.
    Ich bleibe vor dem Stadtplan stehen. Das Papier ist an einem Ende feucht und gewellt. Eine Spinne muß sich vor Ewigkeiten hinters Glas geschlichen haben und hängt vertrocknet über der Clayallee. Ich stampfe ein paarmal auf der Stelle, um warm zu werden. Nach einigem Suchen finde ich die richtige Straße und kritzle mir den Weg mit klammen Fingern auf einen Zettel. Mein Gekritzel erinnert an die Zeichnung eines Kleinkindes, das dringend auf die Toilette muß. Ich laufe zum Wagen zurück und steige ein. Val schläft
    noch immer. Ich lege den Gang ein und parke aus. Nachdem ich etwa zwei Minuten an der Ampel gewartet habe, fahre ich zögernd bei Rot über die Kreuzung. Ich könnte wetten, daß einer der Taxifahrer lacht. Ich weiß nicht, warum ich so feige bin. Ich weiß nicht, was mir nach heute nacht noch passieren könnte.

    — Du hast was?
    —    Ich habe deine Pillen ausprobiert.
    —    Von meinen ... du hast... von meinen ... Du meinst meine Pillen?
    -Aus deinem Kosmetiktäschchen,
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