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Du bist ok, so wie du bist: Das Ende der Erziehung (German Edition)

Du bist ok, so wie du bist: Das Ende der Erziehung (German Edition)

Titel: Du bist ok, so wie du bist: Das Ende der Erziehung (German Edition)
Autoren: Katharina Saalfrank
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Verallgemeinern kann man das ganz sicher nicht: Es gibt in staatlichen wie in privaten Schulen Beziehungslose, und viele andere sind wiederum am Kind und seiner Entwicklung interessiert, egal ob es ein staatlicher oder privater Lernort ist. Wenn ich als Kind oder als Eltern wählen könnte, wo ich hingehe, dann würde ich natürlich auf jeden Fall nach einer Beziehung suchen und schauen, wo ist der Lehrer, bei dem ich spüre, dass der mich mag, dass der Freude hat, hier mit mir zu sitzen, dass er interessiert ist – im Sinne des lateinischen inter esse: »dazwischen sein« – an dem, wie ich denke, fühle und wie ich handle. Beim Autonomen Lernen steht deshalb die Lehrer-Schüler-Beziehung im Vordergrund: Wir sind uns nicht gleichgültig. Wir halten es nicht für professionell, sich herauszunehmen, sondern für Verarmung. Der Lehrer wird zum »Lernbegleiter«, der den Schüler im wahrsten Sinne des Wortes auf den Wegen zum Ziel begleitet. Entweder zu den Pflichtzielen, die ein Bildungsplan vorschreibt, oder den Kürzielen, die ich aus mir selbst heraus formulieren darf.
    Katharina Saalfrank: Aber für diese Form von Beziehung braucht man Zeit. Und diese Zeit gibt es nicht im deutschen Schulsystem. Wie organisieren Sie es, dass jeder Lehrer Zeit für diese so wichtige Beziehung zu seinen Schülern haben kann?
    Peter Fratton: Als wir die erste Schule gegründet haben, sagten wir uns: Wir müssen auf jeden Fall Zeit für Beziehungspflege haben. Das heißt, wer eine 100-Prozent-Stelle hat, der ist auch fünf Tage in der Woche ganztägig im Lernhaus. Zudem haben wir die Zahl der klassischen Unterrichtsstunden halbiert. Statt vier Stunden Biologie, wie es der Lehrplan vorschreibt, machen wir nur zwei. In der restlichen Zeit sind die Lernpartnerinnen und Lernpartner im Lernatelier und arbeiten dort selbstständig und praktisch. Ich als Lernbegleiter habe währenddessen Zeit für das Coaching, also für das Gespräch unter vier Augen, für die Beziehungspflege.
    Katharina Saalfrank: Das klingt für mich schlüssig. Aber trotzdem gibt es doch einen Lehrplan. Wie gehen Sie damit um, wenn ein Schüler, trotz guter Beziehung zum Lehrer beziehungsweise Lernbegleiter, keinen Sinn in einer Aufgabe sieht?
    Peter Fratton: Natürlich kommt es vor, dass ein Kind zum Beispiel mich als Lernbegleiter für Literatur fragt: »Können Sie mir sagen, weshalb ich den Eingangsmonolog aus ›Faust‹ auswendig lernen soll?« Dann sage ich: »Nein, das kann ich dir sicher nicht sagen. Ich kann sagen, weshalb ich dieses Ziel als Pflichtziel aufgenommen habe; ich kann von meiner eigenen Faszination erzählen. Aber was es dir nützt, musst du selbst herausfinden.« Es gibt nun mal Dinge, die Schüler lernen müssen, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, das Abitur zum Beispiel. Das geht am besten, wenn sie den Weg finden, auf dem es ihnen gelingt, ein fremdes Ziel zu ihrem eigenen zu machen. Wenn sie keinen inhaltlichen Grund finden, dann gibt es auch andere. Der Lernpartner kann zum Beispiel sagen: »Gut, ich nutze es, um mich in Geduld und Konzentration zu üben.«
    Katharina Saalfrank: Warum erfinden Sie neue Bezeichnungen für Ihren Schulalltag? Das ist für viele sicherlich gewöhnungsbedürftig. Der Schüler ist der »Lernpartner«, Lehrer heißen bei Ihnen nicht Lehrer, sondern »Lernbegleiter«, und Schule ist nicht Schule, sondern »Haus des Lernens«.
    Peter Fratton: Darauf hat mich mal ein Schüler gebracht. Der hat mir gesagt, dass allein das Wort »Lehrer« und das Wort »Schule« bei ihm Unbehagen verursachen, weil sie mit so vielen negativen Erfahrungen verbunden sind. Das gab uns zu denken. Also haben wir die Wörter durch weniger belastete ersetzt. Ich bin der Architekt meiner Wirklichkeit. Und Wörter gehören natürlich prioritär zu dem, was Wirklichkeit erzeugt.
    Katharina Saalfrank: Das ist also der Kerngedanke des Autonomen Lernens: die Änderung der Haltung. Weg von den Machtstrukturen: Ich bin der Stärkere, ich weiß alles und ich sage dir, wo es langgeht.
    Peter Fratton: Es wäre doch fürchterlich, immer zu wissen, wo es langgeht. Unsicherheit ist etwas durch und durch Lebensfreundliches. Aber alle wollen Sicherheit, und einige tun so, als könnten sie sie geben. Nicht zu wissen, ob etwas gelingt, erzeugt Spannung, Schwingung, fordert heraus, macht uns zu Suchenden und Erfindenden. Alles, was gelingen kann, kann auch misslingen, das liegt in der Natur jeder Sache.
    In dem Moment, wo wir als Lernbegleiter glauben, alles
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