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Du bist ok, so wie du bist: Das Ende der Erziehung (German Edition)

Du bist ok, so wie du bist: Das Ende der Erziehung (German Edition)

Titel: Du bist ok, so wie du bist: Das Ende der Erziehung (German Edition)
Autoren: Katharina Saalfrank
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einigen Jahrzehnten beinahe ein Naturgesetz. Ohne sich dem Vater als dem zumeist streng Erziehenden zu entziehen, konnte man kaum eine eigenständige Persönlichkeit werden. Das mag sich heute nicht mehr mit einer vergleichbaren Heftigkeit vollziehen, im Grunde ist es aber das Gleiche geblieben. Manche Brüche sind radikal, andere weicher. In allen Fällen jedoch gehen die Kinder aus dem Haus und kehren nicht zurück. Wenn Kinder also »fertig erzogen« sind, müssen sie ihre Ursprungsfamilien verlassen. Sie müssen sie verlassen, um eigene Autonomie zu erlangen und um selbstständig zu werden.
    Ist das wirklich notwendig? Oder anders gefragt: Muss das für immer so sein?
    Denn was passiert, wenn wir das Erziehen beenden? Wenn es kein Machtverhältnis gibt? Wenn Kinder von vornherein in der Eltern-Kind-Beziehung Verbundenheit erfahren und zugleich ihr Bedürfnis nach Autonomie ausleben können, im Schutz der elterlichen Geborgenheit? Was, wenn wir Säuglinge von ihrer Geburt an als gleichwürdige Menschen sehen können und so zu (Lebens-)Begleitern unserer Kinder werden? Wenn wir ihnen von Anfang an zugestehen, sich bereits innerhalb der Familie in ihrem Kind- und Sosein autonom und selbstständig entwickeln zu dürfen? Wenn wir ihnen von Beginn an in einer gleichwertigen Beziehung begegnen und sie sich diese notwendige Autonomie folglich nicht später durch eine Befreiung aus dem Eltern-Kind-Machtverhältnis erkämpfen müssen, was zum Verlassen ihrer Familie, schlimmstenfalls sogar zum totalen Bruch mit ihren Eltern führt?
    Dann entsteht eine ganz neue Chance für die Lebensform Familie insgesamt. Denn Kinder müssen sich dann nicht (mehr) aus dem Machtverhältnis zu den Eltern befreien, sondern können frei und autonom entscheiden, ob und wann sie gehen – und sie können auch wieder zurückkommen. Und auch für Eltern würde sich an dieser Stelle der Blick auf ihre Kinder verändern. Sie müssen dann nicht mehr als Erziehungsberechtigte und -verpflichtete die gesamte Verantwortung für das Handeln ihrer Kinder tragen, sondern können ihnen schon früh Verantwortung für ihre eigenen Entscheidungen überlassen. Der dauernde Anspruch, für unsere Kinder entscheiden und sie erziehen zu müssen, ist anstrengend und kraftraubend. Deshalb sind viele Eltern regelrecht froh, wenn ihre Kinder dann »auf eigenen Beinen stehen« und sich entschließen auszuziehen. Endlich sind sie nicht mehr verantwortlich, endlich übernehmen die Kinder die Verantwortung für ihr eigenes Leben, und die Eltern haben das ihre »zurück«. Auch aus der Perspektive der Eltern wäre der schmerzhafte, derzeit aber noch unumgänglich erscheinende Bruch mit den eigenen Kindern nicht mehr nötig.
    Früher band vor allem wirtschaftlicher Druck die Familienmitglieder aneinander. Vielleicht könnte heute eine ganz neue Form von Großfamilie entstehen, die auf Freiwilligkeit und tiefer Verbundenheit beruhen würde und in der auch die Autonomie aller Familienmitglieder ihren Raum hätte. Nicht die Erwachsenen in ihrer Rolle als Eltern, sondern die Mutter, der Vater als Menschen, zu denen eine innige Beziehung besteht, können nun Bedeutung erlangen. So kann eine andere Form von Großfamilie entstehen, die nicht – wie meist in der Vergangenheit – als eher funktionaler, zweckmäßiger Verbund gelebt wird, sondern eine zweckfreie und freiwillige Verbindung der Familie über mehrere Generationen hinweg darstellt, in der alle Mitglieder persönlich und auf emotionaler Ebene voneinander profitieren.
    Durch das Ende der Erziehung schaffen wir die Voraussetzungen für die Entwicklung einer ganz neuen Familienkultur und eines neuartigen Beziehungsklimas innerhalb unseres gesamten Familienlebens. Vielleicht schaffen wir es, dass Mehrgenerationenhäuser nicht nur ein Experiment sind, das einige wenige Menschen praktizieren (und in der Regel selten mit ihren eigenen Eltern), sondern dass sich eine neue selbstverständliche Form von familiären Beziehungsstrukturen herausbildet und das Leben in der Großfamilie freiwillig und in gegenseitiger Wertschätzung zu einem möglichen Lebensentwurf werden kann – nicht muss, aber kann!
    Von ERziehung zu BEziehung: Das wird nicht von heute auf morgen geschehen. Es ist ein grundlegender Bewusstseinswandel, der sich in einem dynamischen Prozess vollzieht und der bei uns selbst und unserer eigenen Familie beginnt.

Dank
    Dieses Buch konnte ich nur aufgrund eigener Erfahrungen schreiben, die ich mit vielen Menschen
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