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Dschungelkind /

Dschungelkind /

Titel: Dschungelkind /
Autoren: Sabine Kuegler
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einen breiten Baumstamm, der im dichten Schilf lag. Zögernd folgte uns die Lehrerin, und ich spürte, wie unheimlich ihr das Ganze war. Doch sie wollte ihre Unsicherheit nicht vor uns Kindern zeigen. Kaum dass sie auf dem Baumstamm stand, sprangen wir zurück in das Kanu und paddelten außer Reichweite. Dann klärten wir die völlig verängstigte Frau höflich darüber auf, dass dies hier der Lieblingsnistplatz aller Krokodile sei. Wir gaben ihr noch den Tipp, sich ja nicht zu bewegen und schon gar nicht ins Wasser zu springen. Denn Krokodile stürzen sich unverzüglich auf alles, was auch nur in die Nähe ihrer Brutplätze kommt. Unsere Lehrerin begann erst zu flehen, dann zu drohen und brach schließlich in Tränen aus. Irgendwann erbarmten wir uns und ließen sie, käsebleich und zitternd, wieder in unser Boot steigen.
    Du liebe Zeit, haben unsere Eltern uns anschließend die Hölle heiß gemacht wegen dieser Aktion. Dabei war die Brutzeit der Krokodile doch längst vorbei, die Nester waren verwaist, es hätte gar nichts passieren können …
    Der Dschungel war nun einmal meine Welt, wo ich mich auskannte und wo ich mich sicher fühlte. Dinge und Situationen, die ich als absolut normal betrachtete, riefen bei anderen Furcht und Unsicherheit hervor. Und waren es nur meine Spinnen, die ich so liebte und die bei anderen Angst und Abscheu erregten.
    Genauso erging es mir dann, als ich nach Europa kam. Für westlich geprägte Menschen völlig selbstverständliche und alltägliche Dinge wie Bus fahren oder Telefonieren machten mich nervös und verunsicherten mich – und kaum einer konnte nachvollziehen, welche Ängste mich eigentlich beschlichen. So schlug mir Unverständnis, aber oft auch Gefühllosigkeit entgegen. Ich habe Jahre gebraucht, um diese Unterschiede zu verstehen.
     
    Es kam daher nicht von ungefähr, dass ich mich in Quisa nach kürzester Zeit wieder so fühlte, als sei ich in meine Welt zurückgekehrt. Und das, was ich nun erlebte, trug maßgeblich dazu bei.
    Der Pilot brauchte etwa eine Stunde, bis er unser Gepäck ausgepackt, die Maschine aufgetankt und alle weiteren Vorbereitungen für seinen Rückflug nach Sentani getroffen hatte. Dabei trug er eine Sonnenbrille und eine Pilotenuniform. Neugierig beobachtete ich, wie er plötzlich hinter dem Flugzeug verschwand und wenige Minuten später mit Mundschutz, Kittel und Gummihandschuhen wieder hervorkam. Mit einer Arzttasche ging er den Hügel hinunter in Richtung Dorf.
    Während er noch unter einem Baum einen Holzstuhl aufstellte und ein kleines Loch grub, bildete sich vor ihm eine Menschenschlange. Er sah auf, winkte den Ersten in der Reihe zu sich und bedeutete ihm, sich hinzusetzen.
    Und so verwandelte sich unser Pilot für die kommenden Stunden in einen Zahnarzt. Einer nach dem anderen setzten sich die Fayu vor ihm auf den »Behandlungsstuhl« und ließen sich Zähne ziehen, die so faulig und marode waren, dass einen westlichen Zahnarzt wohl die Übelkeit überkommen hätte. War der Zahn gezogen, so wurde er in das Loch geworfen, und der nächste Patient war an der Reihe.
    Am meisten erstaunte mich, dass der in einen Zahnarzt verwandelte Pilot bei der extremen Hitze überhaupt arbeiten konnte. Ständig umschwirrte ihn ein dichter Fliegenschwarm, und er hielt nicht ein einziges Mal inne, um die Plagegeister zu verscheuchen. Nachdem der letzte Zahn gezogen war und der letzte Fayu glücklich von dannen zog, packte der Arzt seine Utensilien zusammen. Er kehrte zurück zum Flugzeug, verschwand wieder kurz hinter der Maschine und kam wenige Minuten später in seiner Pilotenuniform zurück. Was für eine farbige Welt!
     
    Etwa eine Stunde nach unserer Ankunft hörte ich einen lauten Ruf und ging nachsehen, was los war. Papa rief mich zu sich und erzählte mir, dass eine Gruppe Iyarike eingetroffen war. Sofort ging ich hinunter zum Fluss, um sie zu begrüßen, und stieß als Erstes auf Nakire und Fusai. Ein wunderbares und bewegendes Wiedersehen! Lachend kamen sie auf mich zu, stießen Freudenschreie aus, begrüßten mich wie ein verloren geglaubtes Familienmitglied und hießen mich aufs Herzlichste zu Hause willkommen.
    Ich war ein ganzes Stück gewachsen, seit ich den Dschungel verlassen hatte, und stellte zum ersten Mal erstaunt fest, wie klein Nakire war. Er reichte mir gerade mal bis zur Schulter. Nun kam auch Häuptling Kologwoi, seine Begrüßung fiel ein wenig reservierter aus. Er hatte seinen Körper mit Schlamm eingerieben, zum Zeichen seiner
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