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Dschungelkind /

Dschungelkind /

Titel: Dschungelkind /
Autoren: Sabine Kuegler
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herüber. Er grinste von einem Ohr zum anderen, und als ich vor ihm stand, nahm er mich am Arm und rieb seine Stirn gegen die meine. Denn die Fayu begrüßen sich, indem sie einander die Stirn reiben, ähnlich wie wir hier im Westen uns die Hand schütteln.
    Der trauernde Kloru
    »Kennst du mich noch?«, fragte er, noch immer strahlend.
    »Aber ja!«, rief ich. Er war einer der wenigen vom Stamm der Tigre, die in unserer Nähe lebten, als wir damals noch am Fluss wohnten. Wenn ich mich recht erinnerte, war er mit Häuptling Baou verwandt.
    Ein Gefühl der Freude überkam mich, als ich die vertraute Sprache der Fayu zum ersten Mal nach fünfzehn Jahren wieder hörte. Sie klang wie Musik in meinen Ohren. Das Einzige, was mir allmählich auf die Nerven ging, waren die unzähligen Sumpffliegen, die in ganzen Schwärmen um mich herumsirrten und mich auf der Suche nach blanker Haut immer wieder attackierten. Sobald ich mich hinsetzte, waren meine Arme und Beine völlig von den Fliegen bedeckt, und kaum ging ich ein paar Schritte, verfolgte mich ein ganzer Schwarm. Als Kind hatten sie mich nie gestört, vielleicht weil wir uns schnell an sie gewöhnt hatten. Nach so vielen Jahren in Europa aber waren mir die vielen krabbelnden Fliegenbeine auf der Haut sehr unangenehm.
    So reibt man die Stirn
    Die Hitze wurde langsam unerträglich, selbst im Schatten unter dem Baum. So beschloss ich, den Hügel wieder hinaufzugehen und mich zu vergewissern, dass sich jemand um meine Fotoausrüstung kümmerte. Wie auf Kommando folgte mir eine ganze Horde Kinder, die alle wild durcheinander redeten, und ich fragte mich, was sie wohl sagen mochten. Wieder an der Landebahn angekommen, entdeckte ich meine Tasche mit der Fotoausrüstung auf dem Boden, mitten in der prallen Sonne. Rasch hob ich sie auf und legte sie unter eine der Tragflächen in den Schatten. Der Pilot war damit beschäftigt, die Maschine zu warten. Er hielt einen kleinen Plastiktrichter in der Hand und füllte Treibstoff aus einem rostigen Kanister in den Tank. Ich beobachtete ihn und musste lachen beim Gedanken daran, wie anders die Gepflogenheiten hier doch waren.
    Es gibt eine Geschichte, die mir mein Bruder einmal erzählt hat und die so typisch für das Leben hier ist: Ein Mann aus der westlichen Welt, der seit kurzem in Asien lebte, ging in ein einheimisches Restaurant und bestellte eine Suppe. Als sie ihm serviert wurde, stellte er fest, dass eine Fliege darin schwamm. Sofort rief er den Kellner herbei, beschwerte sich lautstark und verlangte eine neue Suppe. Einige Monate später bestellte er in demselben Restaurant erneut eine Suppe – und wieder schwamm eine Fliege darin. Er seufzte kurz, fischte das Tier mit dem Löffel heraus und begann zu essen. Nach wiederum einem Jahr passierte dasselbe. Als der Mann die Fliege in der Suppe bemerkte, zuckte er die Achseln, nahm seinen Löffel und aß die Suppe, mitsamt der Fliege.
    Natürlich heißt das nicht, dass jeder irgendwann anfängt, Fliegen zu essen, nur weil er mehrere Jahre in West-Papua gelebt hat. Aber man verändert sich nach einer Weile und eignet sich durchaus die eine oder andere deutlich abweichende Verhaltensweise an, vor allem wenn man schon als Kind dorthin kommt …
    Die Unterschiede sind jedoch nicht nur im Verhalten der Menschen erkennbar, sondern auch in ihrer mentalen Einstellung. Ich erinnere mich an einen Vorfall in der Dschungelbasis Danau Bira. Dort besuchten uns hin und wieder Leute aus der zivilisierten Welt, die auf vieles, was uns ganz natürlich schien, außerordentlich empfindlich reagierten. Wir konnten beim besten Willen nicht verstehen, wieso sie so zimperlich waren.
    So war es auch mit unserer ersten Lehrerin, die unermüdlich versuchte, uns Rasselbande ein Mindestmaß an Erziehung beizubringen. Eines Tages beschlossen wir, der blutjungen Frau, die gerade erst aus Amerika zu uns in den Dschungel gekommen war, einen Streich zu spielen. Wir überredeten sie zu einer Bootsfahrt. Mit großen und unschuldigen Augen schwärmten wir ihr von einem wunderschönen Ort vor, den wir ihr unbedingt zeigen müssten. Ich weiß noch, dass sie mehrfach fragte, ob das nicht zu gefährlich sei. Nein, nein, beteuerten wir wie aus einem Munde.
    Sie stieg also tatsächlich in unser kleines Kanu, und wir paddelten auf den See hinaus. An einem Ufer des Gewässers, in einer mit hohem Schilfgras bewachsenen Bucht, befand sich ein Brutplatz für Krokodile. Dort angekommen, kletterten wir einer nach dem anderen auf
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