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Dschungelkind /

Dschungelkind /

Titel: Dschungelkind /
Autoren: Sabine Kuegler
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mich nach der Liebe, der Zärtlichkeit, der Wärme, die ich jetzt empfinden sollte.
    Als er zurückkam, sagte er, ich solle mich bekleiden, denn sein Freund, dem die Wohnung gehöre, würde bald zurückkehren. Wie unter Schock zog ich mich an und wollte nur noch zurück ins Internat. Er sagte mir noch, dass ich mich tapfer gehalten hätte und dass er sich bei mir melden werde, nächsten Samstag würde er mich abholen.
    Die ganze Woche dachte ich an nichts anderes und malte mir die Zukunft mit ihm aus. Unsere Beziehung war ja jetzt besiegelt, er hatte mich »gestohlen«, wie die Fayu es taten, wenn sie eine Frau zur Ehefrau nahmen. Bei denen jedoch musste es dem Mann gelingen, die Frau für drei Tage im Urwald festzuhalten. Wenn er es schaffte, waren sie verheiratet, keine Zeremonie, keine großen Feiern oder bürokratischen Formalitäten. Wenn sie zurückkamen ins Dorf, wurden sie von allen als Paar akzeptiert, auch wenn der Vater des Mädchens vorher gegen die Verbindung gewesen war. Was könnten meine Eltern also noch gegen uns haben?
    Am nächsten Samstag wartete ich vor dem Internat. Vergeblich. Nach einigen Stunden bat mich eines der Mädchen endlich, wieder ins Haus zu kommen. Ich verstand die Welt nicht mehr, machte mir vor, er wäre in einen Unfall verwickelt oder selbst schwer verletzt, oder etwas ungeheuer Wichtiges hätte ihn aufgehalten. Einige Tage später, als ich am Nachmittag in der Stadt war, traf ich ein Mädchen, das ihn kannte. Sie erzählte mir, dass mein Freund verheiratet sei und ein Kind habe. Ich starrte sie an, fühlte nichts mehr außer dem Verlangen, irgendwo zu verschwinden und nie wieder mit jemandem reden zu müssen.
    Im Internat verkroch ich mich in der Dusche, drehte das heiße Wasser auf und weinte so sehr, dass ich einen Waschlappen in meinen Mund stopfte, um meine Schreie zu unterdrücken. Was hatte ich getan? Wie hatte ich nicht merken können, dass er ein Betrüger war? Was würde jetzt mit mir passieren? Ehebruch war eine Sünde, bei den Fayu wurde sie mit dem Tod bestraft.
    Meine Freundinnen trösteten mich und sagten mir, dass ich ihn vergessen solle. Zum Glück gelang mir das bald.
    Jahre später traf ich ihn wieder. Er entschuldigte sich bei mir. Aber da war schon so vieles geschehen, dass ich ihm nichts mehr übelnahm. Da hatte ich schon entdeckt, dass diese Welt, von der ich als Kind geträumt hatte, alles andere als ein Paradies war.

RUF DES DSCHUNGELS
    3 Rückkehr ins Land der Fayu
    E ndlich war es so weit. Der lang ersehnte Tag war gekommen. Unser Flug war für den frühen Morgen geplant, und ich hatte in der Nacht vor Aufregung kaum ein Auge zugetan. Immer wieder schossen mir dieselben Fragen durch den Kopf: Wie würde ich mich wohl bei der Ankunft fühlen? Wie würden die Fayu auf mich reagieren?
    Leider konnte ich nicht viel Gepäck mitnehmen, doch mein Rucksack und meine Fotoausrüstung mussten mit. Kleider waren dagegen nicht so wichtig, schließlich kann von »Mode« im Dschungel keine Rede sein, daher beschränkte ich mich auf wenige Teile und ein Paar Turnschuhe.
    Draußen war es noch immer dunkel. Die kühle Luft fühlte sich auf meiner warmen Haut gut an. Jacop half uns, die vielen Säcke mit Lebensmitteln und die Kartons mit den anderen Gerätschaften im Wagen zu verstauen. Aron wollte uns begleiten, und ich freute mich, dass er weiter bei uns sein würde. Wir verabschiedeten uns von seiner Frau und den Kindern, die gekommen waren, um uns eine gute Reise zu wünschen. Papa trieb uns zur Eile an, denn wir waren spät dran, und der Pilot musste seinen Flugplan unbedingt einhalten.
    Ich nahm meinen Stammplatz auf dem Rücksitz ein. Die Fahrt zu dem kleinen Flugplatz in Sentani dauerte etwa eine halbe Stunde, die mit Plaudern schnell herumging. Aron erzählte mir, wie sehr er die Fayu mochte und wie gern er bei ihnen im Dorf war. Er lebte nur deshalb nicht dort, weil seine Kinder in der Stadt bessere Chancen auf eine anständige Ausbildung hatten.
    »Im Fayu-Dorf gibt es keinen Lehrer für sie«, erklärte er mir. »Wenn dein Vater nicht wäre, könnte ich nicht mal ihr Schulgeld bezahlen.«
    »Aber Aron«, erwiderte ich, »du gehörst doch zu uns. Wir sind alle eine große Familie!«
    Er umarmte mich lachend. »Wie schön, dass du wieder da bist«, sagte er liebevoll.
    Schnell wandte ich mich ab und sah aus dem Seitenfenster, um die Tränen zu verbergen, die mir in die Augen stiegen.
Wie sehr ich dieses Land liebe,
dachte ich.
Wie konnte ich nur so lange
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