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Drowning - Tödliches Element (German Edition)

Drowning - Tödliches Element (German Edition)

Titel: Drowning - Tödliches Element (German Edition)
Autoren: Rachel Ward
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verschlägt mir beinahe den Atem.
    Ich nehme Neishas Hand und wir gehen zur Treppe. Alles ist mit dickem weißen Raureif bedeckt. Es ist kein gewöhnlicher Frost. Das Gras, die Bäume, die Telefondrähte, alles ist mit Eiszacken besetzt, einem Saum aus winzigen Eisnadeln. Es wirkt wie eine Zauberlandschaft.
    »Wo gehen wir hin?«, fragt sie und ihr Atem steigt vor ihr in die Luft.
    »Weiß nicht. An irgendeinen Ort mit Bäumen, sie sehen unglaublich aus, wenn sie so sind.«
    »In den Park?«
    Das Gras knirscht unter unseren Füßen. Wir bleiben vor einem Spinnennetz stehen, es ist ein perfektes Muster, durch das Eis hervorgehoben. Mehr Licht zieht in den Himmel, doch die Sonne zeigt sich noch nicht.
    »Ich werde diesen Anblick nie vergessen«, sagt Neisha.
    »Und mich. Ich hoffe, du wirst auch mich nie vergessen.« Es klingt nach Selbstmitleid, Armseligkeit, aber ich kann es nicht ändern.
    »Natürlich nicht.«
    »Letzte Nacht …«, fange ich an. Ich will ihr sagen, dass ich keine Sekunde geschlafen, sie die ganze Nacht nur angeschaut und auf ihren Atem gelauscht habe. Dass ich mich so tief in sie verliebt habe, als würde ich ins Weltall stürzen. Dass es die schönste Nacht meines Lebens war.
    »Was?«, fragt sie.
    »… nichts. Du hast geschnarcht.«
    »Hab ich nicht.« Sie klingt beleidigt und einen Moment lang habe ich Angst, dass alles zerstört ist, doch sie lächelt, hält immer noch meine Hand und jetzt führt sie mich den Hügel hinab.
    »Nein, besser nicht, nicht dahin, Neisha.«
    »Jemand hat erzählt, dass er zugefroren ist.«
    »Ich weiß nicht. Ich –«
    »Es ist gut«, sagt sie.
    Vielleicht hat sie ja Recht. Gestern bei der Befragung war es, als ob man uns sagte, es wäre vorbei. Wie wenn der Typ, der Untersuchungsrichter, für uns auf die letzte Seite »Ende« geschrieben hätte. Aber es war doch kein »Ende«. Es war »Tod durch Unfall«.
    Ein Abenteuerunfall. Ein Abenteuer mit tödlichem Ausgang.
    Er sagte, es sei nicht meine Schuld gewesen. Niemand hätte Schuld. Die Wunden an Robs Fußgelenken hätten gezeigt, dass er sich in irgendetwas am Boden des Sees verfangen habe – in einem Draht, im Schilf oder sonst irgendwas. Dass der See für niemanden sicher sei. Es hätte jedem passieren können.
    Neisha geht immer noch ein Stück vor mir her, führt mich zum See. »Das war so eine Art Ende gestern, ein Abschluss«, sagt sie, als ob sie meine Gedanken lesen könnte. »Aber jetzt will ich mich verabschieden. Es richtig tun.«
    Die Zweige knacken, als wir uns durch das Gebüsch schieben, und dann sind wir da, am Rand des Sees. Der heute absolut ruhig daliegt – keine Wellen, nichts schlägt ans Ufer. Wir sind die einzigen Menschen hier, aber nicht die einzigen Lebewesen. Verstreut, allein und zu zweit oder in kleinen Gruppen, stehen Enten und Möwen auf dem Eis, geduckt und unglücklich.
    »Komm«, sagt Neisha.
    Sie schiebt sich vor auf die Eisfläche.
    »Ich weiß nicht«, sage ich wieder, aber ich bin mit ihr hier, an ihrer Seite. Die obere Schicht besteht aus weißen Kristallen, darunter ist dickes Eis. Wir bewegen uns langsam vorwärts. Ich studiere die Oberfläche, suche nach Rissen, nach ich weiß nicht was. Das Eis ist nicht überall gleich: Es gibt dunklere Stellen, verschiedene Schattierungen von Grau. Ich schaue genauer. In meinem Kopf sehe ich ihn, Rob, sein Gesicht gegen die Unterseite der Eisfläche gepresst, Nase und Mund zur Seite gequetscht. Ich sehe seine Hände, die Ballen stemmen sich mit aller Gewalt gegen die Decke, versuchen, sich einen Weg hinaus zu erzwingen.
    Ich bleibe stehen.
    »Ich kann nicht, Neisha. Ich kann nicht weitergehen.«
    Ein paar Schritte vor mir dreht sie sich um. Ihre Hand ist aus meiner geglitten.
    »Was ist?«, fragt sie.
    »Da sind Schatten unter dem Eis … ich will wieder zurück.«
    »Da ist nichts, Carl. Da ist überhaupt nichts.« Sie fasst meine Hand und führt mich weiter.
    Doch sie hat Unrecht. Die Vergangenheit ist dort unten – Erinnerungen, die nie aufhören werden. Und irgendwo am Grund liegt ein Amulett. Ein silbernes Amulett, das mal einer Frau namens Iris gehört hat.
    Sie drückt meine Hand. »Schau nicht nach unten. Schau hoch. Schau dich um. Schau hoch und geh weiter.«
    Ich zwinge mich, den Kopf zu heben. Die Sonne kriecht gerade in den Himmel hinauf. Was vorher weiß war, ist jetzt silbern, vom Licht verwandelt. Die Bäume, die Büsche, der See.
    Ich schiebe die Füße herum, um Neisha anzusehen. Ich küsse sie und sie küsst
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