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Drowning - Tödliches Element (German Edition)

Drowning - Tödliches Element (German Edition)

Titel: Drowning - Tödliches Element (German Edition)
Autoren: Rachel Ward
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unter die Dächer. Dann begreife ich auf einmal, dass man sehen kann, wo ein Haus ans nächste anschließt, nämlich da, wo das Abflussrohr in der Regenrinne steckt. Neishas Haus müsste vom Ende der Reihe aus gesehen das dritte sein. Ich pflüge stromaufwärts dorthin zurück.
    Ich schwimme auf das Haus zu, halte mich an irgendeinem Abflussrohr fest und nehme mir einen Moment Zeit, um Kräfte zu sammeln. Das Plastikrohr, an dem ich mich festhalte, biegt und dehnt sich. Von der anderen Seite des Wassers rufen Leute. Jemand hat einen Schreckensschrei ausgestoßen, als ich den Rettungsring verließ. Jetzt kreischen sie, ich soll bleiben, wo ich bin, warten, bis ein Boot zu mir kommen kann.
    Wenn ich es schaffe, Neisha nach oben zu holen, werde ich ihre Leiche aufs Dach bringen und nicht versuchen mit ihr irgendwo hinzuschwimmen. Das heißt, nicht ›wenn‹, sondern auf jeden Fall. Ich werde es tun. Das bin ich ihr schuldig.
    Ich schaue mich kurz um. Der Sonnenschein liegt immer noch auf dem Wasser. Ich spüre die Wärme auf meinen Schultern und bin wieder zurück mit Neisha auf dem Spielplatz, sie küsst mich und die Wärme ihrer Haut und die Wärme der Sonne gehören zusammen. Sie hält mich, schlingt ihre Arme und Beine um meinen Körper, bringt mich zu Fall und zum Lachen.
    Das werde ich nie wieder spüren.
    Der Schock der Erkenntnis ist wie der Stich einer Klinge. Er zerteilt mich, zersticht mich, nimmt mir den Atem. Ich brauche dieses Gefühl noch ein letztes Mal – ich werde sie hochholen. Sie kann zwar mich nicht mehr halten, aber ich sie.
    Ich frage mich, ob das Wasser nicht mehr steigt, jetzt, wo der Regen aufgehört hat. Wie lange wird es dauern, bis es wieder gesunken ist, zurück in das Flussbett, wie lange wird es dauern, bis die Welt wieder ist, wie sie sein soll. Ich frage mich, ob ich das noch erleben werde, und merke, es ist mir egal. Die Welt wird nie mehr so sein, wie sie sein sollte. Neisha ist tot. Nichts wird mehr sein, wie es war.
    Komm schon. Tu es. Jetzt.
    Ich ziehe den Bauch ein, drücke die Rippen nach oben, nach vorn und sauge langsam Luft in die Lunge. Vielleicht ist es mein letzter Atemzug. Sei’s drum.
    Ich sinke ins Wasser, taste mich mit den Händen an der Steinmauer entlang, um zu dem Fenster ihres Zimmers zu kommen. Dann packe ich den Rahmen an beiden Seiten, stemme mich dagegen und werfe mich in den Raum. Panik zuckt durch meinen Magen, als ich daran denke, wie weit ich schwimmen muss, wie weit ich hinabmuss. Je weiter ich mich vom Fenster entferne, desto schlimmer wird es. Es gibt hier keine Oberfläche, nur Wasser über, unter mir und um mich herum. Ich spüre sein Gewicht, spüre den Druck der Wände und der Decke. Aber ich darf mich davon nicht abhalten lassen. Ich muss ruhig bleiben. Ich muss mich aufs Schwimmen konzentrieren und auf sonst gar nichts.
    Ich habe ihr Zimmer durchquert, bin hinaus auf den Flur geschwommen. Und jetzt bin ich unten. Ich presse die Finger zusammen und pflüge durchs Wasser, drücke es hinter mich, schiebe mich weiter vor. Ich stoße die Beine im Bruststil von mir, während ich tiefer tauche, tiefer, tiefer, am Treppengeländer und an den Bildern vorbei, die verrückterweise immer noch an der Wand hängen. Ich schiebe Abfall beiseite: Seiten aus Zeitschriften, kleine Bambuskörbe, Geburtstagskarten und Taschenbücher. Alles, was dieses Haus zu einem echten Zuhause machte, die normalen Dinge, die Menschen für selbstverständlich halten. Ich schlage sie aus der Bahn und schwimme den Flur entlang.
    Es ist still hier. Das einzige Geräusch stammt von mir – das stetige murmelnde, gurgelnde Geräusch der Luft, die aus meinem Mund weicht. Der Druck, der sich in mir aufbaut. Ich presse die Lippen zusammen und es ist wieder schaurig still. Ich bin jetzt dicht an der Tür, durch die ich Neisha herausschwimmen sah. Ich habe Angst, aber ich will sie noch einmal sehen. Ich will es mehr als alles andere auf der Welt.
    Ich stoße noch einmal die Beine ab, dann bin ich drin. Ein Tisch treibt verrückt auf der Seite liegend irgendwo in der Nähe der Decke. Teller und Tassen liegen zerschlagen am Boden.
    Es sind zwei Körper im Zimmer. Sie hängen senkrecht im Wasser, wie zwei zerstörte Puppen.
    Eine ist dunkel. Die andere blass.
    Neisha trägt ihre Jeans und einen Kapuzenpullover, schwere Sachen, Sachen, die geholfen haben, sie umzubringen. Ihre Haare tanzen um den Kopf wie ein schwarzer Heiligenschein. Augen und Mund stehen offen. Sie wirkt überrascht. Nein.
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