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Drowning - Tödliches Element (German Edition)

Drowning - Tödliches Element (German Edition)

Titel: Drowning - Tödliches Element (German Edition)
Autoren: Rachel Ward
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im Krankenwagen. Ich muss herausfinden, wer sie ist. Ich muss mit ihr reden. Mum wird es sicher wissen; aber wo kann Mum sein, wenn sie nicht in ihrem Bett ist? Ich lasse das zusammengesetzte Foto auf dem Boden liegen und gehe nach unten. Ich bin schon mit dem Fuß auf der zweiten Stufe, als ich wieder den Wasserhahn tropfen höre.
    Plip, plip, plip.
    Ich könnte schwören, dass ich ihn zugedreht habe. Offenbar ist die Dichtung kaputt. Ich drehe mit aller Kraft an der Tülle, um den Hahn dichtzukriegen. Dabei verspannen sich meine Schultern und ein Schauer läuft mir vom Nacken aus den Rücken hinab. Im selben Moment gibt es einen lauten Knall auf dem Flur, eine Tür schlägt zu. Mir bleibt das Herz stehen. Geduckt renne ich in den Flur. Es war mein Zimmer, meine Tür.
    Mein Herz schlägt jetzt wieder, hart und schnell. Ich spüre, wie der Puls am Hals pocht, atme ein paarmal tief durch und versuche, mich zu beruhigen. Schließlich gehe ich auf Zehenspitzen zur Tür, nehme behutsam den Knauf in die Hand und drehe ihn langsam, ganz leise, nach rechts. Ich drücke die Tür auf und schaue ins Zimmer, dann schleiche ich mich hinein und schaue vorsichtig hinter der Tür nach. Natürlich ist das Zimmer leer. Anders ist nur, dass das Foto nicht mehr auf dem Teppich liegt. Jedenfalls nicht mehr als Ganzes. Die Teile liegen auf meinem Schlafsack, auf dem von Rob und im ganzen Zimmer verstreut. Als hätte sie jemand aufgehoben und hochgeworfen. Verrückt.
    Ich halte meine Hand aus dem Fenster. Es geht kein Lüftchen. Ich stoße den Schieber aus der Verriegelung und schließe das Fenster, dann beuge ich mich nach unten und fange an, die Teile wieder einzusammeln. Ich könnte sie natürlich mit Klebeband zusammenkleben, wenn ich welches hätte. Ich behalte die Stücke in der Hand, gehe hinunter und suche nach Mum, nach irgendwelchem Klebeband oder nach beiden.
    Alle Lichter brennen und Mum liegt immer noch auf dem Sofa. Die knallende Tür hat sie nicht geweckt. Sie ist nicht bei Bewusstsein, sie ist fix und fertig, der kaputte Finger hängt Richtung Boden, wie wenn er auf die Bierdose zeigt, die sie hat fallen lassen. Mum ist total weg.
    Als ich sie so daliegen sehe, kommt eine weitere Erinnerung zurück.
    »So hat es Dad gemacht.« Die Klinge von Robs Messer bohrt sich in meine Haut, in die Linie, die das letzte Glied meines kleinen Fingers markiert. Sein Blick ist kalt, hart. Jetzt ein falsches Wort von mir und er schneidet los.
    »Okay, ich glaub’s dir.«
    »Nur dass es schnell ging, echt schnell. Er hat ihre Hand genommen und dann mit dem Messer losgeschnitten, einfach so …«
    Ich schaudere bei dem Gedanken, wie Rob mir die Hand niederdrückt, schaudere bei dem, was Mum durchgemacht hat, vor vielen Jahren. Die Erinnerungen, die in diesen Wänden lauern, sind genauso vergiftet wie die Luft. Kein Wunder, dass Mum alles mit Bier auszulöschen versucht.
    Ich kauere in der Tür und frage mich, was ich tun soll. Ich fühle mich nicht wohl dabei, überall rumzuschnüffeln, um irgendwo Klebeband zu finden, will Mum aber auch nicht wecken.
    Auf dem Fernseher liegen Familienfotos. Ich schleiche auf Zehenspitzen an Mum vorbei und sehe die Bilder an. Drei Porträtfotos in dünnen Rahmen aus Karton, auf allen dieselben beiden Jungen. Die Fotos bilden eine Art Fortsetzung, erzählen eine Geschichte: mein Bruder und ich, wie wir heranwachsen. Unser Leben in drei Schnappschüssen. Als Zwerge, Kinder, Jugendliche. Knirpse, Jungs, Teenager.
    Selbst unter Tausenden von Leuten würde man uns sofort als Brüder erkennen. Die gleichen struppigen Haare, die gleichen schmalen graublauen Augen, die an den Außenseiten ein bisschen nach unten verlaufen, die gleichen Wangenknochen. Brüder, aber nicht Zwillinge. Rob ist eindeutig älter – er ist auf jedem Foto größer als ich. Und er hat eine Überheblichkeit an sich, die mir fehlt. Auf einem der Fotos, dem jüngsten, hält er den Kopf leicht nach hinten gelegt und schaut von oben herab in die Kamera. Nur ganz leicht, doch es reicht, um klar und deutlich zu sagen: »Ja, ich bin Rob. Na und?« Aber meine Augen schauen nicht zu ihm – ich schaue auch nicht geradeaus in die Kamera, sondern ein Stück zur Seite.
    Auf einmal denke ich an das andere Foto, das zerrissene in meiner Hand. Wenn man das Mädchen zu einem der Fotos von mir und Rob hinzufügen würde, wo würde sie stehen? Neben Rob? Neben mir? Davor? Dazwischen? Wo passt sie hin?
    Hinter mir schnauft Mum im Schlaf. Ich drehe mich um.
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