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Drowning - Tödliches Element (German Edition)

Drowning - Tödliches Element (German Edition)

Titel: Drowning - Tödliches Element (German Edition)
Autoren: Rachel Ward
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Beton. »Geh schon mal rauf«, sagt sie. »Ich hab ihn gleich.«
    Ich sehe die kurze Treppe hinauf, die zu einem Außengang führt. Eine Erinnerung blitzt in meinem Kopf auf. Ein Junge, der aussieht wie ich, trippelt die Treppe hinunter und springt unten über die Mauer. Und noch jemand ist da und wartet an der Stelle, wo ich jetzt stehe – ein Mädchen mit langen dunklen Haaren. Ich spiele die Szene wieder und wieder durch, sehe den Jungen wie Batman über die Mauer fliegen, sehe das Mädchen hochschauen, sehe ihr Lächeln, das um die Mundwinkel spielt. Sie versucht nicht zu zeigen, dass sie beeindruckt ist, doch sie ist es. Der Junge. Das Mädchen. Ich kenne sie, aber die Dinge fügen sich nicht zusammen. Er kann nur mein Bruder sein. Muss es sein.
    Die Bilder in meinem Kopf liegen wie Spinnweben über der Treppe. Zerbrechlich. Ich will nicht hindurchlaufen und sie zerstören. Ich will nicht, dass sie verschwinden. Ich will einfach nur dastehen und zusehen, bis alles einen Sinn ergibt. Bis ich es spüre. Es wird kommen, das weiß ich genau. Es ist da, wie ein Wort, das mir auf der Zunge liegt. Wenn ich nur stehenbleibe und zusehe …
    Mum rempelt an mir vorbei.
    »Da sind sie«, sagt sie. »Komm schon. Ich brauch was zu trinken.«
    Ich starre noch immer auf die Treppe, doch jetzt ist meine Mum da, geht langsam die Stufen hinauf und der Bann ist gebrochen. Ihre Jogginghose ist zu lang, die Säume sind ausgefranst, dort, wo sie auf dem Boden schleifen. Als sie oben am Absatz steht, dreht sie sich um.
    »Jetzt komm schon hoch, Carl.« Sie ruckt mit der Hand, wie um ihren Worten Nachdruck zu verleihen, dann starrt sie zu mir zurück. Sie wartet. »Carl?«
    »Mum, ich …«
    »Was ist? Komm rauf. Lass uns reingehen. Was trinken und diesen verdammten Scheißtag ein bisschen vergessen.«
    Ich schleppe mich die Stufen hoch. Sie spielt mit den Schlüsseln in der Hand, sieht sie an statt mich. Ich bin da, doch sie rührt sich nicht.
    »Mum«, sage ich.
    Sie sieht noch immer nicht auf. Ihr Kopf ist zu Boden gerichtet, blondierte Strähnen fallen zu beiden Seiten ihres Gesichts nach vorn. Der Scheitel ist eine Zickzacklinie – erschreckend rosa im Gegensatz zu den dunklen Haarwurzeln. Irgendwas spritzt von ihren Fingern. Und noch mal. Ein unterdrückter Laut bildet sich in ihrer Kehle. O Gott, jetzt weint sie wieder. Ich versuche, etwas zu sagen, damit sie aufhört.
    »Mum. Nicht doch. Schon gut.«
    Irgendwie war es leichter, als sie mich angebrüllt hat. Das hier ist schlimmer, viel schlimmer.
    Ich bin nicht groß, aber größer als sie. Ich könnte ihr meinen Arm um die Schultern legen, aber ich muss immer wieder an den Schlag denken, den sie mir im Taxi verpasst hat.
    Ihre Tränen fallen auf den Beton. Sie steht nur da, klein und einsam, fummelt an ihren Schlüsseln herum und weint. Es ist schrecklich, einfach nur schrecklich. Ich muss etwas tun.
    Ich schlurfe zu ihr hin, hebe den Arm. Ich lasse ihn in der Luft hängen, ein paar Zentimeter von ihr entfernt, dann senke ich ihn langsam und lege ihn ihr um die Schultern. Ich beuge die Finger, um ihre Schulter zu fassen. Zuerst reagiert sie nicht und ich komme mir dämlich vor, komisch, doch gerade, als ich den Arm wieder wegziehen will, knickt sie den Kopf zur Seite in meine Richtung. Nur ein bisschen, aber die Oberseite ihres Kopfs berührt meine Wange. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich lasse ihre Schulter los und tätschle ein paarmal ihren Rücken.
    Sie hebt den Kopf und schnieft laut.
    »Mach du«, sagt sie. Die Worte sind so verschwommen, dass ich sie nur mit Mühe verstehe, dann reicht sie mir die Schlüssel. Sie sind nass von ihren Tränen. Ich wische sie an meinem T-Shirt ab und gehe den Außengang entlang. Zu jeder Maisonettewohnung gehört ein eingezäuntes Stück zwischen Außengang und Tür – wie ein eigener kleiner Garten. Bei Hausnummer 1 stehen ein paar Kaninchenställe, überall buntes Spielzeug und ein umgekipptes Dreirad. Hausnummer 2 hat gar nichts außer einem Abfalleimer in einer Mauernische. Bei der nächsten Hausnummer liegt genauso viel Müll auf dem Boden wie in der Tonne; auch Flaschen, zum Teil kaputt, und Dosen. Zwei Plastikstühle stehen da, die früher vermutlich mal weiß waren, einer davon mit abgeknicktem Bein, und ein alter Sessel, aus dem die Polsterung rausquillt. Es gibt auch Blumen. Berge von Blumen in Plastikfolie, sie liegen vor der Haustür gestapelt. Daran erkenne ich, dass es unser Eingang sein muss.
    Die Blumen sind
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