Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Drowning - Tödliches Element (German Edition)

Drowning - Tödliches Element (German Edition)

Titel: Drowning - Tödliches Element (German Edition)
Autoren: Rachel Ward
Vom Netzwerk:
für meinen Bruder, der ertrunken ist. Das hat man mir wieder und wieder erzählt, aber es ist nur eine Geschichte für mich. Etwas, das jemand anderem passiert ist. Ich erinnere mich an nichts. Sie haben gesagt, meine Erinnerung wird zurückkommen, aber wie soll ich das glauben, wenn ich nicht einmal weiß, wo ich wohne.
    Am Tor bleibe ich stehen. Mum kommt heran, stellt sich neben mich und wir glotzen auf unseren Garten.
    »Ich wusste gar nicht, dass wir so viele Freunde haben«, sagt sie mit schwacher Stimme.
    Ich drücke das Tor auf und gehe zur Haustür, kicke mit dem Fuß einen Weg zwischen den Blumen frei. An manchen Folien hängen Karten mit handgeschriebenen Worten.
    »Schieb sie nicht so mit den Schuhen weg«, sagt Mum. Sie folgt mir und hebt die Blumen auf.
    Ich führe den Schlüssel zum Loch. Meine Hand zittert. Ich öffne die Tür und lasse Mum mit ihren Armen voll Blumen vorgehen. Dann schnappe ich mir die übrigen Sträuße und trete in den Flur. Es riecht abgestanden, nach schalem Bier und kaltem Rauch. Ich folge Mum in die Küche. Arbeitsplatten aus gesprenkeltem grauen Kunststoff, graue Schranktüren und ein kleiner, an die Wand geschobener Tisch.
    Sie lässt die Blumen zu Boden fallen und geht zum Kühlschrank. Von der Küchentür aus sehe ich, dass zwei Sixpacks Bier, ein halber Liter Milch, eine Flasche Ketchup und eine Flasche mit brauner Soße im Kühlschrank sind. »Willst du auch eine?« Sie hält mir eine Dose Bier hin.
    »Okay«, sage ich. Hauptsache, ich hab irgendwas, um mich von diesem Loch abzulenken. Ich lege die Blumen auf den Tisch und nehme die Dose. Ich reiße den Deckel auf und trinke einen Schluck. Der bittere Geschmack erfüllt meinen Mund und legt in meinem Kopf einen weiteren Schalter um. Ich liege auf einer Wiese, Wasser schwappt dicht an meine Füße. Der Junge ist da, der Junge, der aussieht wie ich, wir besaufen uns sinnlos, die T-Shirts ausgezogen, um Sonne zu tanken. Ich spüre die Wärme auf meinem Gesicht und auf den Schultern, das Stechen der Grashalme an den Ellbogen, auf die ich mich stütze. Er nimmt einen tiefen Zug von einer Zigarette und bläst den Rauch Richtung See.
    Ich spüre einen Kloß im Hals. Mir wird schlecht. Ich schlucke mit aller Macht, zwinge mich, das Bier runterzubekommen. Mum trinkt schon die zweite Dose, nuckelt daran, als ob ihr Leben davon abhinge. Sie trinkt aus und stellt die leere Dose zur Seite. Der Kühlschrank ist noch offen. Sie greift wieder hinein.
    »Du kannst meins haben«, sage ich und halte ihr die noch fast volle Dose hin.
    »Nein, das ist deine. Schon gut.«
    Sie hat bereits die nächste in der Hand und kippt sie sich in den Mund wie die beiden davor. Bald wird sie total neben der Spur sein. Ich halte meine Dose fest, aber ich trinke nichts mehr, sondern sehe nur zu.
    »Mum …«
    Ich will, dass sie aufhört, ich will ihr von der Sonne und dem Wasser erzählen. Ich will sie nach dem Jungen fragen. Dem Jungen, der durch die Luft fliegen konnte und wie eine Katze auf den Füßen gelandet ist.
    Mein Bruder.
    Rob.
    »Was ist?«, fragt sie.
    »Können wir … Können wir kurz reden?«
    Sie sieht mich an und blickt dann schnell zur Seite. Mum wirkt wie umzingelt, in die Enge getrieben. Als ob ihr die Vorstellung, reden zu müssen, Angst macht.
    »Ich bin müde, Carl. Es war ein beschissener … Lass mich was trinken. Wir reden später, versprochen«, sagt sie.
    »Aber …«
    »Hör auf, Carl, ich brauch das«, keift sie und ihre Stimme ist brüchig, dicht davor umzuschlagen. Jeden Moment wird sie in Tränen ausbrechen. Ich will nicht, dass Mum wieder weint, deshalb trete ich zur Seite, als sie ins Wohnzimmer geht. Sie lässt sich auf dem Sofa nieder, eine Bierdose in der Hand, die anderen Dosen auf dem Fußboden in Reichweite. Ich warte in der Tür. Sie sieht mich nicht an, versucht nicht, mit mir zu reden.
    »Mum«, sage ich nach einer Weile. Sie wird gleich betrunken sein und ich weiß nicht einmal, wo mein Zimmer ist.
    Sie schaut erschrocken hoch, so als ob sie vergessen hätte, dass ich überhaupt da bin.
    »Was?«
    »Wo soll ich schlafen?«
    Sie kneift die Augen zusammen und versucht zu verstehen, was ich meine.
    »In deinem Zimmer«, sagt sie in einem Ton, als ob ich ein Idiot wäre. Fall abgeschlossen. Fertig. Sie dreht sich weg, mit dem Rücken zum Fernseher, der nicht läuft. Ich halte das nicht aus, noch länger bei ihr zu stehen. Offenbar gibt es hier unten keine weiteren Zimmer zum Schlafen, also gehe ich nach oben,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher