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Dringernder Verdacht

Dringernder Verdacht

Titel: Dringernder Verdacht
Autoren: Sue Grafton
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sollte.
Jedenfalls vielen Dank. Und wenn Ihnen noch was einfällt, rufen Sie mich doch
bitte an.«
    »Klar. War’s das?«
    »Vorerst ja«, sagte ich. »Sind Sie
schon bei der Polizei gewesen?«
    »Nein, aber ich habe mit der Anwältin
geredet, und sie geht gleich morgen Früh mit mir hin.«
    »Gut. Halten Sie mich auf dem
Laufenden. Wie ist die Eröffnung?«
    »Ganz toll«, sagte sie. »Die Leute sind
total begeistert. Sie flippen richtig aus. Mom hat schon sechs Objekte
verkauft.«
    »Großartig. Freut mich für sie. Ich
hoffe, sie verkauft ihre Sachen tonnenweise.«
    »Ich muss jetzt gehen. Ich rufe Sie
morgen an.«
    Mein Abschiedsgruß ging bereits ins Leere.
    Das Telefon klingelte, ehe ich die Hand
zurückgezogen hatte. Ich schnappte den Hörer, in der Annahme, Tippy sei noch
etwas eingefallen. »Hallo?«
    Ein seltsames, atmendes Schweigen, dann
eine Männerstimme: »Hey, Kinsey?« Dann wieder das Geatme.
    »Ja.« Ich kniff die Augen zusammen,
presste wieder die Finger auf das andere Ohr und horchte jetzt so angestrengt
auf die Stille wie eben auf das fröhliche Getöse. Der Typ weinte. Nicht laut.
Es war die Sorte Weinen, die herauskommt, wenn man die Tränen zu unterdrücken
versucht. Die Luft suchte sich einen Umweg um seine Stimmbänder herum.
»Kinsey?«
    »Curtis?«
    »Mm-hmm. Ja.«
    »Was ist los? Ist da jemand bei Ihnen?«
    »Mir geht’s gut. Wie geht’s Ihnen?«
    »Curtis, was ist? Ist da jemand bei
Ihnen?«
    »Ganz recht. Hören Sie, weswegen ich
anruf — können wir uns treffen und über etwas reden?«
    »Wer ist es? Sind Sie okay?«
    »Können wir uns treffen? Ich muss Ihnen
was sagen.«
    »Was ist los? Können Sie mir sagen, wer
bei Ihnen ist?«
    »Kommen Sie zum Vogelschutzgebiet, dann
erklär ich’s Ihnen.«
    »Wann?«
    »Gleich, wenn’s geht.«
    Ich musste mich rasch entscheiden. Ich
konnte ihn nicht mehr länger hinhalten. Der Mithörer würde unleidlich werden.
»Okay. Wird aber ein Weilchen dauern. Ich liege schon im Bett und muss mich
erst anziehen. Ich komme so schnell wie möglich hin. Kann aber zwanzig Minuten
dauern.«
    Die Leitung erstarb.
    Es war noch nicht neun, aber das
Vogelschutzgebiet war abends ziemlich gottverlassen. Es lag in einer
Süßwasserlagune an einer wenig frequentierten Stichstraße zwischen Freeway und
Strand. Der Parkplatz für zwanzig Wagen wurde in der Regel von Touristen
benutzt, die auf der Jagd nach einem »Motiv« waren. Auf der anderen
Straßenseite stand ein Gasthaus, das aber im Moment nicht bewirtschaftet war.
Allein und unbewaffnet würde ich da nicht hingehen. Ich griff wieder zum
Telefon, rief beim Polizeirevier an und verlangte Sergeant Cordero.
    »Bedaure, aber die kommt erst morgen
Früh um sieben wieder.«
    »Können Sie mir sagen, wer bei der
Mordkommission Dienst hat?«
    »Ist das ein Notfall?«
    »Noch nicht«, sagte ich schnippisch.
    »Ich kann Sie mit dem Dienst habenden
Einsatzleiter verbinden.«
    »Vergessen Sie’s. Schon gut. Ich
versuch’s woanders.« Ich drückte auf die Gabel und klemmte den Hörer zwischen
Kinn und Schulter, während ich in meinem privaten Adressbuch blätterte.
»Woanders« war bei Sergeant Jonah Robb, einem Beamten der Vermisstenabteilung
der Stadtpolizei von Santa Teresa. Wir hatten ein sporadisches Verhältnis
gehabt, das von den Launen seiner Frau diktiert worden war. Die beiden lebten
in einer hoch dramatischen Uralt-Ehe. Sie hatten sich mit dreizehn in der
siebten Klasse kennen gelernt und seither, meiner persönlichen Meinung nach,
nicht viel dazugelernt. Camilla pflegte ihn in Abständen zu verlassen — gewöhnlich
ohne Vorankündigung oder Erklärung und unter Mitnahme beider Töchter sowie des
gesamten Betrages auf dem gemeinsamen Bankkonto worauf Jonah schwor, dies sei
endgültig das letzte Mal. Während einer dieser ehelichen Turbulenzen hatte ich
die verwaiste Bühne betreten. Ich war die zweite Besetzung, eine Rolle, die
mir, wie ich bald feststellte, überhaupt nicht lag. Schließlich hatte ich den
Kontakt abgebrochen. Ich hatte fast ein Jahr nicht mehr mit Jonah gesprochen,
aber er war immer noch jemand, von dem ich glaubte, dass ich in der Not auf ihn
zählen konnte.
    Es meldete sich eine Frau mit einer
Schlafzimmerstimme, vermutlich Camilla oder ihre derzeitige Vertretung. Ich
fragte nach Jonah und hörte, wie der Hörer weitergereicht wurde. Sein »Hallo«
klang ziemlich groggy. Mein Gott, diese Leute gingen noch früher ins Bett als
ich. Ich nannte meinen Namen, was ihn etwas wacher zu machen
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